Bernhard Baden

Geburtsdatum: 9.08.1878 Föhren
Sterbedatum: 24. August 1942 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 18. November 2012

Stolperstein Bernhard Baden: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 18. November 2012

Die Identifizierung von Bernhard Baden als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Bernhard Baden achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnahmen wie folgt): Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.

Bei den weiteren Biografie-Forschungen kooperierte die am Max-Planck-Gymnasium im Schuljahr 2012 von Frau Gesche Klein-Menke betreute Stolperstein-Projektklasse. In der im Landeshauptarchiv Koblenz überlieferten Patientenakte waren diese Basisinformationen über Bernhard Baden ersichtlich. Er arbeitete als „Straßenwärter“ und war im Ersten Weltkrieg Soldat in der Reichswehr gewesen. Mit seiner Ehefrau Katharina geb. Gläsner wohnte er in Zemmer, Haus Nr. 1. Sie hatten neun Kinder, Elisabeth (*5. Mai 1906), Josef (*14.10.1909), Johann (*25.10.1910), Maria (*19.11.1911), Mathilde (*2.4.1914), Hubert (*28.10.1915), Bernhard (*14.11.1920), Alois (*4.7.1922) und Luise (*14.09.1924). Weitere Nachforschungen zur Kontaktierung eventuell noch lebender Kinder bzw. von Angehörigen führten zu keinem Ergebnis.

In der erwähnten Patientenakte sind die letzten zwölf Lebensjahre von Bernhard Baden als Psychiatriepatient dokumentiert. 1930 erkannte der ihn in Speicher untersuchende Landarzt Dr. Reichertz an Bernhard Baden eine nicht näher bestimmte „Geisteskrankheit“. Daraufhin wurde Bernhard Baden nach Trier in die „Irrenanstalt“ des Krankenhausse der Barmherzigen Brüder eingewiesen. Über eine diesbezügliche erbliche Belastung besagte der erwähnte Einweisungsbefund nichts weiter. Entsprechende Diagnosen oder dahingehende Nachforschungen wurden auch nachher nicht gestellt bzw. durchgeführt.

Auszug aus der Patientenakte von  Bernhard Baden, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz  Best. 426,6 Nr. 17199
Abb. 2 Deckblatt Krankenakte von Bernhard Baden

Kleiderzettel bei Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt Andernach vom 16. August 1939, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 426,6 Nr. 17199
Abb. 3 Kleiderzettel bei Aufnahme in Andernach (Heil- und Pflegeanstalt)

Nach angeblicher Besserung seines Geisteszustandes wurde Bernhard Baden am 29. Januar 1941 „beurlaubt“ und kehrte wieder nach Zemmer zurück zu seiner Ehefrau, die mit ihrer Tochter Mathilde den Haushalt führte. Acht Wochen später, am 15. März 1941, wurde er auf Veranlassung des Ortsbürgermeisters abermals nach Andernach eingewiesen, weil er sich angeblich an seiner Ehefrau und ihrer Tochter Mathilde sexuell vergangen hatte und außerdem angeblich auch noch „andere weibliche Personen“ sexuell belästigte. Daraufhin verlangte der Andernacher Anstaltsarzt Dr. Kreische von dem Amtsbürgermeister in Zemmer eine nachträgliche Überprüfung dieser Befunde. Bei der hierzu am 27. März anberaumten Vorladung gaben Badens Ehefrau und seine Tochter Mathilde auf dem Bürgermeisteramt in Zemmer zwei persönliche Erklärungen zu Protokoll (Siehe hier unten Anhang). Obwohl sie beide die vorgeworfenen Vorfälle geistiger Unzurechnungsfähigkeit und auch ihre zeitweilige Angst vor sexuellen Übergriffen bestätigten, bekundeten sie dennoch, jeweils in den Abschlusspassagen ihren Wunsch auf Anstaltsentlassung ihres Ehemannes und Vaters. Möglicherweise wollte der Ortsbürgermeister diesem Wunsche von Frau Baden und ihrer Tochter entsprechen, indem er die Rückübersendung der Protokolle an den Andernacher Anstaltsarzt Dr. Kreise um einen entlastenden Zusatz ergänzte:

„Dass Baden noch an eine weitere Frauenperson unsittliche Anträge gestellt hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.“

Nach Kenntnisnahme durch den Eingangsvermerk vom 31. März 1941 gab es keinen psychiatrischen Gesamtbefund, weder durch den Empfänger Dr. Kreische noch von Seiten eines anderen Anstaltsarztes. Bei den letzten Eintragungen in Badens Krankenakte über die angeblich an ihm durchgeführte „Pneumotherapie“ handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Fälschungen. Sie verschleierten den auch in der Zwischenanstalt Andernach routinemäßigen Krankenmord, den die Ärzte mit dem Pflegepersonal begingen mittels Medikamentenentzug, Überdosierung oder durch einen durch gezielten Nahrungsentzug herbeigeführten „Hungertod“.

 

Dokumentation der Krankengeschichte von Bernhard Baden anhand seiner Patientenakte (Auszüge)

1930 Einweisung in die „Irrenabteilung“ des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder (Trier) durch Dr. Reichertz (Speicher) auf Grund diagnostizierter Geisteskrankheit: Keine Hinweise auf eine Erbkrankheit.
 
August/September 1939    Umbau des Krankenhauses zum Militärlazarett mit vier Räumungstransporten von insgesamt 500 Psychiatriepatienten, u.a.
 
15. August 1939 Bernhard Baden mit Sammeltransport in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach
 
16. August 1939 Aufnahmevermerk mit „Kleiderzettel für Baden, Bernhard“ (siehe Abbildung)
 
29.Januar 1941 als „gebessert beurlaubt“ zurück nach Föhren in den Haushalt seiner Ehefrau und jüngsten Tochter in Zemmer.
 
15. März 1941 Wiedereinweisung von Bernhard Baden in Andernach veranlasst von dem Ortsbürgermeister in Zemmer wegen angeblicher „unsittlicher“ Belästigungen seiner Ehefrau, Tochter und „anderen weiblichen Personen“
 
16. März 1941 Anstaltsarzt Dr. Kreische erbittet beim Ortsbürgermeister (Amt) Begründungen für die Wiedereinweisung von Bernhard Baden
 
27. März 1941 Vorladung der Ehefrau Katharina Baden und ihrer Tochter Mathilde beim Bürgermeister (Amt) Zemmer. Die protokollierten Erklärungen beider beinhalten den ausdrücklichen Wunsch einer möglichen Anstalts-Entlassung ihres Ehemanns bzw. Vaters. Der Ortsbürgermeister übermittelt das Vernehmungsprotokoll Dr. Kreisch nach Andernach mit der persönlichen Einschätzung,

„dass der Zustand seiner geistigen Umnachtung für die Familie gefährlich werden kann. Gelegentlich einer Unterredung mit Baden habe ich festgestellt, dass er noch den Eindruck eines Geisteskranken machte.
Dass Baden noch an eine weitere Frauenperson unsittliche Anträge gestellt hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.“

31. März 1941 Kenntnisnahme (Aktenvermerkt) durch Medizinalrat Dr. Kreisch
 
18. August 1942 Pneumotherapie eingeleitet – Fieber 39…..Temperatur fällt nicht ab
 
24. August 1942 Sterbebeurkundung beim Sonderstandesamt Andernach Anstaltsärztin Dr. Anne-Liese Ustar: „Lungenentzündung, Kreislaufschwäche, manisch depressives Irresein, Chronischer Alkoholismus, Kreislaufschwäche bei doppelseitiger Pneumonie“
 
28. August 1942 Aktenvermerk Andernach (Heil- und Pflegeanstalt):
„Heute den Trauring über den am 24.8.1942 verstorbenen Bernard Baden an seine Ehefrau, Kath. Baden in Zemmer, Nr. 201, Kreis Trier-Land, abgesandt.“
 

 

Autobiografische Dokumente

27. März 1941 Bürgermeister (Amt) Zemmer: Erklärungen der vorgeladenen Ehefrau Katharina Baden

Ich habe 1907 mit dem Straßenwärter Bernhard Baden die Ehe geschlossen. Im Weltkriege wurde mein Mann im Monat 1915 zum Heeresdienst einberufen und kam zu den Pionieren. E war auf mehreren Kriegsschauplätzen und auch längere Zeit auf dem Balkan. Noch vor Kriegsende erkrankte er an Malaria und kam nach Deutschland ins Lazarett. Von dieser Krankheit hat er sich nicht mehr erholt und wurde im Jahre 1918 eine 50prozentige Kriegsbeschädigung anerkannt. Trotzdem arbeitete er nach dem Kriege noch weiter als Straßenwächter. Im Jahre 1930 trat eine Geistesstörung bei ihm ein, worauf der behandelnde Arzt, Dr. Reichertz in Speicher die Überführung in die Abteilung für Nervenkranke bei den Barmherzigen Brüdern in Trier anordnete. Als das Leiden sich hier verschlimmerte, kam er nach einiger Zeit in die Irrenabteilung.

In der Zeit von 1930 bis 1941 war er etwa 3 Jahre wieder zu Haus. Bei Kriegsausbruch am 1.9.1939 wurde das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier geräumt und mein Mann wurde in die Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt in Andernach überführt.

Am 29. Januar 1941 gab ich zweien meiner Kinder den Auftrag, meinen Mann in Andernach zu besuchen. Am gleichen Abend brachten diese ihn wieder mit nach Hause. In den ersten Tagen ging es gut. Im Laufe der Zeit stellten sich nachts wieder Anfälle ein, die es unmöglich machten, weiter mit ihm zusammen zu leben. Er spricht allerhand Unsinn, welches derart auf mich einwirkte, dass ich nachts keine Ruhe hatte. Ich befürchtete sogar, dass er sich im Zustand einer geistigen Umnachtung an mir vergreifen würde, dass ich körperliche Folgen davon tragen könnte.

So ist für eine Ehefrau kein angenehmes Gefühl, in dem Bewusstsein zu leben, dass der Ehemann sich in einer Irreanstalt befindet. Es würde mich sehr freuen, wenn der Zustand meines Mannes derart in Ordnung sei, dass ich wieder wie andere Eheleute mit ihm zusammen leben könnte. Schon allein hieraus kann die Folgerung gezogen werden, dass ich bestimmt nicht meinen Mann in einer Irrenanstalt untergebracht haben möchte, wenn nicht der Zustand meines Mannes dies erfordern würde. Wir haben 9 erwachsene Kinder – z. Zt. befindet sich nur eine Tochter bei mir im Haushalt. 4 Söhne sind zum Militärdienst einberufen.

 

27. März 1941 Bürgermeister (Amt) Zemmer: Erklärung der vorgeladenen Tochter Mathilde

Z. Zt. bin ich mit meiner Mutter allein im Haushalt. Mein Vater hatte während seiner Anwesenheit in Zemmer Tage, wo man keinen Grund zu klagen hatte, aber auch Tage, wo es nicht zum Aushalten war. An einem Tage war ich allein im Haus und befand mich in der Küche. Hier trat er an mich heran und sagte: „Ich habe wahrgenommen, dass ich kann mit Dir gehen.“ Hiermit wollte er sagen, dass er geschlechtlich mit mir verkehren dürfe. Als ich ihm dies verneinte, ließ er von mir ab. Mit meinem Vater ist nicht zu leben. Er führte sehr oft irre Reden. Hierdurch gerieten meine Mutter und ich, weil sonst kein Mann im Hause ist, in große Angst.

Es würde mich sehr freuen, wenn der Zustand meines Vaters derart in Ordnung sei, dass er wieder bei uns bleiben könnte.

Mathilde Baden.“

27. März 1941 Amtliche Erklärung der Katharina Baden, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 426,6 Nr. 17199
Abb. 4 Amtliche Erklärung der Katharina Baden (Ehefrau) vom 27. März 1941

27. März 1941 Amtliche Erklärung der Tochter von Mathilde Baden, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 426,6 Nr. 17199
Abb. 5 Amtliche Erklärung der Mathilde Baden (Tochter) vom 27.März 1941

Sonderstandesamt Andernach (Heil- und Pflegeanstalt): Totenschein v. Bernhard Baden, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 426,6 Nr. 17199
Abb. 6 Sterbebeurkundung durch das Sonderstandesamt Andernach mit Todesdatierung 24. August 1942

 

Quellen

Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z

Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426,6 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 17199: Patientenakte Bernhard Baden

 

Literatur

Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998

Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108

125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001

Gesche Klein-Menke: Den Opfern ihre Namen zurückgeben. In: Max-Planck-Gymnasium Trier: Jahrbuch 2012/2013, S: 162-163

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