Franz Mischo
Geburtsdatum: 29.12.1874 Zemmer, ledig
Sterbedatum: 2. Oktober 1939 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. November 2012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7. Verlegt 18.11.2012
Abb. 2 Krankenakte der „Irrenanstalt“ Trier
Die Identifizierung von Franz Mischo als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Franz Mischo achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.
Weitere biografische Informationen beinhaltet die aus Andernach von seinem letzten Anstaltsaufenthalt überlieferte Patientenakte. Franz Mischo war am 29. Dezember 1874 in Zemmer geboren. Er war nicht verheiratet. Seinen angegebenen Beruf als Steinbrecher hatte er wegen frühzeitiger Anstaltsunterbringung schon lange nicht mehr ausgeübt. Erstmalige stationäre Einweisungen und Unterbringungen werden in dem ärztlichen Bericht des Trierer Anstaltsarzte Dr. Woitan vom 28.4.1930 für die Jahre (Einweisungen) 1890 und 1919 benannt (Siehe Abbildung). Demnach verbrachte Franz Mischo ab seinem 16. Lebensjahr den weitaus größten Teil seines Lebens in Psychiatrieanstalten (1899 Lindenburg u. Galkhausen, 1919 bis 1921 Merzig, 1921 bis 1939 Trier und 1939 Andernach).
Jener Abschnitt, der ihn der finalen Eugenik-Selektion zuführte, begann am 1. Oktober 1921 mit seiner Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Trier. Aufgrund der Beschwerde seiner nicht namentlich genannten Schwester war er wegen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit festgenommen worden. Nach Angaben der Schwester verfügte das Bürgermeisteramt in Zemmer seine Einweisung als anstaltsbedürftigen Geistesgestörten angezeigt. Ihr Bruder Franz hätte sie und ihre Mutter geschlagen und „die Leute im Nachbarhaus mit Waffen bedroht.“ Als Kostenträger seiner Anstaltsverwahrung kam der Landschafts(Fürsorge-)Verband der Rheinprovinz auf. Abgerechnet wurden unter anderem auch ärztliche Eingriffe wie am 14. Dezember 1930 eine „zahnärztliche Behandlung“ und am 17. Januar 1939 „zwei Zahnentfernungen.“
Hinsichtlich der am Aufnahmetag vom 1. Oktober 1921 in Trier angezeigten „Geistesstörung“ des Patienten Franz Mischo gaben seine Pfleger und Pflegeärzte in den nachfolgenden acht Jahren keinerlei diagnostische Bestätigungen. In seinem Verhalten erweist sich Franz Mischo im Gegenteil als ein zuverlässiger, sogar „selbständiger Einzelarbeiter“, dem ohne Probleme anspruchsvollere Aufgaben wie der Fahrdienst mit dem Pferdefuhrwerk oder Arbeiten in der Ökonomie zugeteilt wurden. (23. Feb. 1922 oder 8. Mai 1930). Einen eindeutigen ärztlichen Befund seiner angeblichen „Schizophrenie“ erhob erstmals Dr. Woitan am 28. April 1930, allerdings ohne eine nachvollziehbare medizinische Begründung (siehe Abbildung).
In dieser diagnostischen Hinsicht schlüssige Symptome oder Verhaltensweisen sind auch den späteren Eintragungen seiner Patientenakte nicht zu entnehmen. Im Gegenteil konstatierte der diensthabende Arzt in Andernach am 15. August 1939, dem Tage seiner Verlegung von Trier über Franz Mischo: „Auffällige psychische Absonderlichkeiten“ wären „nicht feststellbar,“ die frühere Diagnose seiner angeblichen „Schizophrenie nach dem gegenwärtigen Zustandsbild“ von daher also „nicht eindeutig.“
Die auch hier erhobene Annahme eines systematisch durch einen gezielten Pflege- und Versorgungsentzug herbeigeführten Krankenmord wird aufgrund einer Kette Indizien als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für zutreffend erachtet. Die in der Krankenakte bereits vor der Verlegung nach Andernach aufgefallenen Widersprüche zwischen medizinisch eher belanglosen Symptombeschreibungen und nichtsdestotrotz konkreten Krankheitsdiagnosen erscheinen ganz besonders evident bei den Eintragungen auf jenem letzten Krankenblatt, das mit der Eintragung des Sterbedatums endet.
Wie bei ungezählten Krankenblättern aus der T-4 Phase bzw. der Phase der wilden Euthanasie sehen diese letzten, zwischen dem 15. August und dem 2.Oktober 1939 jeweils nach größeren Zeitabständen von fünf bis vierzehn Tagen notierten Eintragungen so aus, als wären sie in einem flüssigen Schreibvorgang am Tage des Sterbedatums niedergeschrieben worden, eventuell unmittelbar post mortem. Diese Annahme stützt gerade auch die fünf Tage nach dem Andernacher Aufnahmeprotokoll am 20. August 1939 vollzogene diagnostische Wendung, bei der der nicht genannt aktenführende Anstaltsarzt die in der vorstehenden Eintragung mit Fragezeichen versehende Vermerk „Defekter Zustand“ selbst beantwortet, indem er den Krankheitsbefund nun komplett auf eine akute Herz-Kreislauferkrankung zurückführt. Die Datierung einer darauf abgerichteten Ernährungs- und Medikamententherapie, die auf eigens beigelegten Kalender-Blättern protokolliert wurde, beginnt nicht zufällig am 21. August 1939, also einen Tag nach der Herz-Kreislauf-Versagens-Diagnose vom Vortrag. Aufgeführt sind die einschlägigen Behandlungsmittel/-medikamente mit u.a. Coffein und Urotropin.
Die am Seitenende des Krankenblatts in gleichbleibenden Schreibduktus gehaltene Eintragung über den Tod des Franz Mischo liest sich nach alledem wie eine perfekte formulierte Anweisung für die ursachenverschleiernde Sterbebeurkundung auf dem Sonderstandesamt Andernach (Wortlaut siehe Abbildung und Dokumentation hier unten).
Dokumentation der Krankengeschichte von Franz Mischo anhand seiner Patientenakte (Auszüge)
15.8.1939 | „Von Trier mit Sammeltransport überführt. Ruhiges Verhalten…Psychische Absonderlichkeiten sind nicht feststellbar. Die Diagnose Schizophrenie ist nach dem gegenwärtigen Zustandsbild nicht eindeutig. Defekt Zustand? (Sic Fragezeichen u. Unterstreichungen vorher, d.V.) |
20.8.1939 | „….kardiale Verkrampfungserscheinungen (Scrotal- u. Penisoedem,- schwellungen), die auf bestehende Myocardegeneratio (Herzkreislauf-Erkrankung, d.V.) zurückzuführen sind.“ |
15.9.1939 | „Fortbestehen mittelgradiger Oedeme der oberen Extremitäten; am Scrotum (Hodensack, d.V.) und an den Beinen sind die Schwellungen weitgehend zurückgegangen. Zeitlich getrübtes Sensorium.“ |
„Nach Auftreten von Pulsunregelmäßigkeiten und zunehmender Bewusstseinstrübung heute Nacht + (sic, Kreuzzeichen, T.S.). Enddiagnose nach dem hiesigen Zustandsbild: Geistesstörung bei chron. (ischem) Herzleiden |
Abb. 3 28.4.1930 Ärztl. Bescheinigung Dr. Woitan nach unerlaubter Entfernung
Abb. 4 15.8.1939 Krankenblatt nach Aufnahme in Andernach
Abb. 5 Letztes Blatt mit Sterbevermerk vom 2.X.1939
Abb. 6 Krankenblatt-Anlage: „Urinmenge, Stuhl, Verordnungen“ 1939/ Blatt 1
Abb. 7 Krankenblatt-Anlage: „Urinmenge, Stuhl, Verordnungen“ 1939/ Blatt 2
Abb. 8 Krankenblatt-Anlage: „Urinmenge, Stuhl, Verordnungen“ 1939/ Blatt 3
Abb. 9 Krankenblatt-Anlage: „Urinmenge, Stuhl, Verordnungen“ 1939/ Blatt 4
Quellen
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z
Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 455 Patientenakte Franz Mischo
Literatur
Heinz Faulstich: : Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998
Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108
125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001