Friedrich Zender
Geburtsdatum: 11. April 1888 Altenwald Kreis Saarbrücken
Sterbedatum: 21.10.1939 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. November 2012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. November 2012
Abb. 2 Personalakte (Deckblatt) mit Abgangsvermerk „gestorben“
Die Identifizierung von Friedrich Zender als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Friedrich Zender achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin und Wetzstein.
Anhand der Patientenakte im Landeshauptarchiv ergaben sich die weiteren Angaben zur Biografie. Deren Auswertung erfolgte in Vorbereitung des Stolperstein-Projekts am Max-Planck Gymnasium Trier, dessen Projektschüler 2012 ihre Arbeiten unter Leitung von Frau Gesche Klein-Menke aufnahmen. Die im Verlauf der Aktenauswertung sich bezüglich einer schädelanatomischen Beforschung am Leichnam von Friedrich Zender ergebene Frage konnte nach Rücksprache mit dem Max-Planck Institut in München (Schreiben Prof. Dr. Matthias M. Weber vom 9.10.2012) geklärt werden.
Friedrich Zender wurde am 11. April 1888 Altenwald Kreis Saarbrücken geboren. Seine katholisch verheirateten Eltern waren zum Zeitpunkt seiner Anstaltseinweisung (siehe unten) längst verstorben: Die Mutter Margarete geb. Müller (+ 1910 Sulzbach) und der Vater Friedrich (+ 1926 Trier), ehemals Bergarbeiter. Friedrich Zender arbeitete als Elektriker und Schlosser im Reichsbahnausbesserungswerk in Trier. Er war verheiratet mit Margarethe geb. Berrang. Mit ihren vier Kinder bewohnte das Ehepaar ein nah dem Reichsbahnausbesserungswerk in der Arbeitersiedlung des Stadtteil Trier-Euren gelegenes Haus mit der Anschrift Jahnstraße 17. In der Krankenakte sind auch die Namen und Geburtsdaten der vier Kinder benannt: Gerhard (*21.12.1914 Rentrich, Friedrich (*2.7.1916 Völklingen), Edmund (*19.5.1924) u. Irene (*26.1.1932, beide in Trier-Euren). Zenders Söhne waren zur Zeit seiner Anstaltsaufnahme Soldaten bei der Wehrmacht (Dokumentation, 6.8.1938).
Nach den Geburtsorten der letztgeborenen Kinder zu schließen, wohnte die Familie spätestens ab 1932 in Trier-Euren.
Abb. 3 5.08.1938 Versicherungsnachweis der Heil- u. Pflegeanstalt Trier
Den Anlass für die Anstaltseinweisung Friedrich Zenders im Brüderkrankenhaus Trier gab ein von ihm Anfang August 1938 begangener Suizidversuch infolge eines am 28. Mai erlittenen Arbeitsunfalls. Über die Ursache und Art seiner psychischen Erkrankung stritten sich die Ärzte in der Folge und noch nach seinem Ableben. Alleiniger Grund dieses Gutachterstreites war, dass die Reichsbahn-Krankenkasse die Übernahme der Behandlungskosten für ihren zum Dauerpflegefall gewordenen Versicherungsnehmer bestritt, da sie die Unfallbedingtheit seiner Pflegebedürftigkeit in Zweifel zog mit dem Einwand, diese wäre vielmehr auf ein psychisches Erbleiden zurückzuführen. Ablauf und Ergebnis des Gutachterstreites stehen in mittelbarem Zusammenhang mit der nachfolgend rekapitulierten Krankengeschichte.
Krankenmord für die Rassenforschung? – Das dubiose Schicksal des Psychiatriepatienten Friedrich Zender
Am 4. August 1938 wurde Friedrich Zender wegen akuter Selbstmordgefahr im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder aufgenommen. Das Einweisungs-Attest schrieb der in Euren 1920 bis 1967 als praktischer Arzt niedergelassene Dr. Peter Wehr (1891-1982). Der Zustandsbefund enthält noch keine Angaben zur Krankheitsgeschichte:
„War bisher nie auffällig. Vorgestern wollte der Patient auf Veranlassung seines behandelnden Arztes wegen seiner Diabetes im Städt. Krankenhaus aufgenommen werden, wurde aber, da er das letzte Mal „unruhig“ und „nervös“ gewesen war, eingewiesen. Darauf brachte er sich in selbstmörderischer Absicht mit seinem Taschenmesser eine Reihe geringfügiger Schnittwunden bei. Wird vom behandelnden Arzt eingewiesen“.
Am gleichen Tage benachrichtigte Dr. Wehr die Reichsbahn-Betriebskrankenkasse in Saarbrücken über die Erstbehandlung ihres Versicherungsnehmers. Seine Diagnost lautete: „Krankheit, Zuckerkrankheit, Psychose, gez. Dr. med. P. Wehr, Trier, Eurenerstr. 11.“
Am nachfolgenden Tage erstellte ein Arzt im Brüderkrankenhaus durch Befragung von Zenders Ehefrau eine erste ausführliche Anamnese (Krankengeschichte). Konkrete Bezeichnungen der Krankheit selbst fehlten ebenso wie exakte Angaben über die Ursache der Erkrankung:
„Die Ehefrau des Patienten machte zur Anamnese folgende Angaben: Ihr Mann war immer stiller, jedoch nie auffällig. Er war arbeitsam und bei den Vorgesetzten beliebt. Seit 8 Jahren leidet er an Zucker. Hatte jedoch keine weitere Beschwerden. Erst in den letzten Wochen war er schlapp und fühlte sich unwohl. Der Hausarzt wies ihn zur Behandlung ins Städt. Krankenhaus. Hier war der Patient sehr „nervös“ und wurde, angeblich zur Erholung, für einige Tage nach Hause entlassen, um dann weiterbehandelt zu werden. Als er nun gestern wieder ins Städt. Krankenhaus kam, wurde ihm die Aufnahme verweigert. Darauf habe sich der Patient so aufgeregt, dass er in den Wald ging und sich in selbstmörderischer Absicht einige Schnittwunden mit seinem Taschenmesser beibrachte. Wird daraufhin vom behandelnden Arzt eingewiesen.“
In dem gleichen Tages fortgeschriebenen Krankheitsverlaufsbericht stehen weitere diagnostische Angaben, die ebenso wenig Aufschluss über die Krankheitsgenese und Art der Erkrankung enthielten: „Wahrscheinlich liegt es an den Nerven“…“Neurologisch keine Besonderheiten“ …Depressive Stimmungslage“….“Selbstmordversuch.“ (Dokumentation, 5.8.1938)
Abb. 4 19.11.1938 Anfrage der Reichsbahndirektion betr. Wiedergenesung v. Zender u. Negativbescheid des Chefarztes v. 23.11.
Abb. 5 26.11.1938 Gesundheitsamt Weimar (Anfrage) an Chefarzt Dr. Faas
Abb. 6 3.12.1938 Bescheid Dr. Faas: Kein Verdacht auf Erbkrankheit
Der Gutachterstreit der Psychiater und das angebliche „Hungersterben“ des Patienten Zender
Die zwischenzeitlich ohne Klärung des Krankheitsbefundes in Trier an Zender durchgeführten Pflegemaßnahmen bewirkten zunehmende Zustandsverschlechterungen wie bei den anderen hier beschriebenen Krankenbiografien. Zenders zunehmende depressive Stimmung äußerte sich in seinem Verhalten, seinem Gesichtsausdruck und in Beschwerden gegenüber den ihn behandelnden Ärzten. Er wünschte sehnlichst seine baldige Entlassung. Brutale Schocktherapien wie die sogenannte „Insulin-Kur“, mit der künstliche Krampfanfälle ausgelöst wurden (vgl. Mergen 2000, S. 257), wurden offenbar auch an ihm ausprobiert (Dokumentation Krankenakten, 11.8.1938.)
Bereits im zweiten Halbjahr 1938 wurde die ungeklärte Frage nach dem Krankheitsstatus des Anstaltspatienten Zender durch mehrfaches Nachfragen akut. Zuerst Seitens der Reichsbahn-Krankenkasse (Anfragen vom 22.08. u. 19.11.38), die bisher für den Patienten Zender mit Kostenerstattungen „auf der niedrigsten Pflegestufe“ aufkommen war. Spätestens Ende des Jahres wollte sie ihre Leistungen einstellen. Alsdann das Gesundheitsamt in Weimar, das mit Klärung der Ehetauglichkeit eines nicht genannten Sohnes von Friedrich Zender befasst war (Anfrage 26.11.1938). Und schließlich Zenders Ehefrau, die nun die Leistungspflicht gegenüber der Versicherung mit dem Arbeitsunfall ihres Mannes zu begründen versuchte (Dokumentation 8.12.1938).
Der als Gutachter nun dringend um seine Einschätzungen gefragte Anstaltsleiter Dr. Faas gab der Reichsbahn-Krankenkasse am 23.11.1938 zunächst einen Negativbescheid bezüglich der Heilungsaussichten: „Voraussichtlich wird Zender nicht mehr arbeitsfähig, seine Invalidisierung erscheint daher angesagt.“ Dem Gesundheitsamt in Weimar bescheinigte er am 3. Dezember 1938:
„Z.(ender) war bisher noch nicht in einer Anstalt, auch habe ich in der Familien-Anamnese nichts gefunden, was auf eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes hindeutet.“
Am 2. Januar 1939 widerrief Faas in einem neuerlichen Gutachten diese seine frühere Einschätzung, indem er Zenders Psychische Geisteskrankheit nun als erbbedingt deklarierte. Aus welchen Beweggründen der Medizinalrat seine fachärztliche Auffassung komplett revidierte, geht aus den Akten nicht hervor. Sein diametral ausfallender Meinungsschwung gibt aber Anlass für Spekulationen einer anderweitigen Einflussnahme, eventuell durch regimekonforme Kräfte.
Mit ihrem Schreiben vom 21. August 1939 bat die Deutsche Reichsbahnversicherung (Zentrale in Stuttgart) den Eugeniker Dr. Kreisch in Andernach um ein Zweitgutachten. Inhalt und Wortlaut lassen keinen Zweifel an der erklärten Absicht, die Forderungen des bei ihr versicherten Anstaltspatienten Zender auf der Gutachterebene zurückzuweisen. Das beauftragte Fachgutachten sollte nach Möglichkeit die bisher vertretene Annahme einer unfallbedingten Geisteserkrankung mit nachfolgender Anstaltsbedürftigkeit korrigieren um die Neueinschätzung eines genuinen Krankheitsbefundes. Wortlaut der Anfrage an Dr. Kreisch:
„Die Ehefrau des seit 4.5.1938 wegen Geistesstörung im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier untergebracht gewesenen Friedrich Zender, Elektriker beim Reichsbahnausbesserungswerk Trier hat am 8.12.1938 vorgebracht, dass ihr Mann am 28.5.1938 im Werk einen Betriebsunfall erlitten habe und dass sie das jetzige Leiden als Folge dieses Unfalls ansehe. Auf Grund des Gutachtens des Nervenarztes Dr. Faas vom 2.1.1939 haben wir die Anerkennung der Geistesstörung als Folge des Unfalls abgelehnt. Hiergenen wurde durch die Deutsche Arbeitsfront in Trier am 31.1.1939 – zunächst ohne Begründung – Berufung eingelegt. In einem Schreiben vom 26.7.1939 glaubt die DAF einen Zusammenhang zwischen der Geisteskrankheit und dem Unfall vom 28.5.1938 feststellen zu müssen, und beantragt, den Zender noch durch einen anderen Arzt untersuchen zu lassen….Wir übersenden Ihnen deshalb unsere Akten mit der Bitte um Abgabe eines Gutachtens, ob die Geisteskrankheit des Zenders mit größter Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalls vom 28..5.1938 anzusehen ist.“
Die Verschleierung des Krankenmordes an Friedrich Zender im Zusammenhang mit dem Schlussgutachten von Anstaltsarzt Dr. Kreisch
Das beantragte Zweitgutachten erstellte Dr. Kreisch in Andernach am 18.10.1939 – exakt drei Tage vor dem anschließend am 21.10. protokollierten Sterbedatum. Obwohl er am gleichen Tage den Patienten Zender wegen dessen Schwäche nicht mehr hinreichend hatte „explorieren“ konnte, bestätigt er in seinem Gutachten die Erblichkeitsannahme des Trierer Kollegen (Wortlaut).
„…bezüglich des Verneinens des ursächlichen Zusammenhangs der jetzt vorhandenen Psychose mit dem am 28.5.1938 erlittenen Unfall sind wir der gleichen Ansicht, wie sie von dem Herrn Medizinalrat Dr. Faas in dem von ihm erstatteten Vorgutachten niedergelegt ist.
Wollte man eine direkte Unfallfolge annehmen, so müsste in der seit dem Unfall verflossenen Zeit sich irgendwelche Ausfallserscheinungen oder wenigstens Veränderungen gezeigt haben…Folgeerscheinungen dieser Art sind aber bisher nie beobachtet worden….Die erst einige Monate später zur Manifestation gekommene Depression ist nicht als Unfallpsychose, sondern als eine seelische Erkrankung eigene Art …Auch sind keinerlei Anzeichen nachweisbar, die etwa für das Vorliegen einer direkten Hirnschädigung sprechen könnten….Die jetzt bestehende Psychose gehört nicht zu den als Unfallpsychosen zur Beobachtung kommenden Erkrankungen…
Ich fasse mein Gutachten zusammen;
1. Z. leidet an einer Psychose.
2. Es besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der jetzt bestehenden Erkrankung und dem erlittenen Unfall im Mai 1938.
Dr. Med. Kreisch. Facharzt für Psychiatrie und Neurologie“
In demselben Gutachten beschreibt er erstmals ausführlich einen bei Zender in den letzten Tagen rapide eingetretenen Kräfteverfall, von dem in den bisherigen Eintragungen mit keinem Wort die Rede war:
„Der Nahrungsaufnahme bereitet Z. vom ersten Tag seines Hierseins Schwierigkeiten, indem er sehr unregelmässig isst und sehr zum Essen angehalten werden muss. Sein Kräftezustand ist ein stark reduzierter und hat Z. in den vergangenen Wochen an Gewicht abgenommen….Die in der Zwischenzeit weiter fortgeschrittene Verschlechterung des Allgemeinzustandes ist einmal die Folge der durch die Krankheit bedingte schlechte Nahrungsaufnahme, wozu noch als Erschwerungsmoment die Zuckerkrankheit hinzukommt“
Mit den letzten Eintragungen an dem angeblichen Todestag vom 21.10.1939 benennt Kreisch auch in der Krankenakte Zenders zum ersten Male die in seinem Auftragsgutachten drei Tage zuvor erstmals formulierte Beschreibung einer angeblich infolge Nahrungsproblemen eingetretenen Zustandsverschlechterung seines Patienten Zender:
„Wegen der jetzt bereits schon mehrere Tage anhaltenden schlechten Nahrungsaufnahme und der dadurch hervorgerufenen Verschlechterung des Allgemeinbefindens wird Patient heute mit der Sonde gefüttert.“
Am gleichen Tage vervollständigt ergänzte Dr. Kreisch diesen gleichen Datums begonnenen Schriftsatz um diese Sterbeeintragung. „Befindet sich heute Morgen zur Zeit der Visite in moribundem Zustand. Heute nachmittags 4 Uhr 30 min. Exitus Letalis Dr. Kreisch“.
Die zwei Tage später, am 23. Oktober 1939, beim Sonderstandesamt mit der Unterschrift des Anstaltsdirektors ausgestellte Todesanzeige enthielt entsprechend abgestimmte Angaben über die Sterbeursache (Siehe unten).
Abb. 7 16.08.1939 Heil- u. Pflegeanstalt Andernach: Kleiderzettel für Friedrich Zender
Abb. 8 21.8.1939 Reichsbahndirektion erbittet Gutachten zur Ursache der Geisteskrankheit
Abb. 9 18.10.1939 Gutachten Dr. Kreisch zur Ursache der Geisteskrankheit von Friedrich Zender:
Abb. 10 „Krankheitsverlauf“ Andernach laut Krankenakte 1939 mit Sterbeeintrag am 21.10.1939
Abb. 11 21.10.1939, 12 Uhr 15 Telegramm Dr. Kreisch an Frau Zender
Abb. 12 23.10.1939 Todesanzeige Sonderstandesamt Andernach
Ein Gehirn für die Rassenforschung? – Der fragwürdige Sektionsauftrag beim Deutschen Hirnpathologischen Institut der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) in München
Mit dem Ableben Friedrich Zenders war für die Versicherung der Kostenstreit noch nicht beendet. Am 24.11.1939 verlangte sie bei der Anstaltsdirektion Auskunft über die Todesursache – und zwar unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. Kreisch vom 18.10.1939 und die zwischenzeitlich ihr übermittelte Sterbenachricht – und alsdann zur endgültigen Beantwortung der Streitfrage, ob „sich nachträglich Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem Unfall von 1939 ergeben haben.“
In seinem Antwortschreiben vom 30.11.1939 an die Versicherung wiederholte Dr. Kreisch zunächst die in der amtlichen Todesanzeige bezeichnete Sterbeursache „Marasmus“ im Zustande „stärkster körperlicher und geistiger Erschöpfung.“ Nachdem er aber „bei der vorgenommenen Sektion“ an Zenders Leichnam in Andernach „keine Feststellungen über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen geistiger Erkrankung und dem erlittenen Unfall“ hätte feststellen können, habe er das Hirnpathologische Institut der DFA mit einem klärenden Sektionsbefund beauftragt. Zu diesem Zwecke habe er dem Institut der DFA „das ganze Gehirn nebst einigen anderen Organteilen eingeschickt.“
Das von dem Andernacher Eugenik-Arzt Dr. Kreisch mit der besagten Lieferung beschickte Institut nahm damals routinemäßig dergleichen Zusendungen entgegen. In ihren aktuellen Forschungen hinterfragen Medizinhistoriker die genaue Anzahl der im Institutsarchiv in München aus jenen Jahren bis heute erhaltenen umfangreichen Präparate-Sammlung. (vgl. Focus-Online v. 2.Mai 2017). Das Morden auf Bestellung der Forschung zur Abdeckung ihres humanhistologischen Materialbedarfs funktionierte hochspezialisiert und bestens organisiert im Rahmen des Euthanasieprogramms. (vgl. Weber 2000, S. 106-110 u. Klee 2001, S. S. 69 u. 473-492). Kooperierte Dr. Kreisch, der heimliche Spezialist für das verschleierte „Hungersterben“ in Andernach, und andere Kollegen vor Ort auch mit diesem Beschaffungsproprogramm? Hatte er den Gutachterstreit über den Krankheitsstatus des Psychiatriepatienten etwa geschickt ausgenutzt, sozusagen als Diener zweier Herrn (1. Versicherung, 2. Pathologie-Institut in München)?
Das belieferte Hirnpathologie-Institut in München jedenfalls protokollierte einen Eingangsvermerkt bereits am 8. November 1939. Der von ihm knappe vier Wochen später, am 4.12.1939, in einem ausgedehnten Schriftsatz erstellte Sektionsbefund erbrachte das von der Berufsversicherung erhoffte Ergebnis. Bei „den durch das Gehirn gelegten Schnitten“ hätten sich „nirgends Zeichen ehemaliger traumatischer Schädigungen“ gefunden. (Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie-HA, siehe Quellenverzeichnis).
Abb. 12 24.11.1939 Reichsbahndirektion erbittet Auskunft über Krankheits- und Todesursache
Abb. 13 30.11.1939 Antwort Dr. Kreisch: Hirnpathologische Untersuchung beantragt
Abb. 14 8.11.1939 Hirnpathologischer Sektionsbefund über Friedrich Zender
Am Ende auch noch Abrechnungsbetrug gegen die trauernde Witwe?
Die um ihren Ehemann trauernde Witwe Zender wurde nun aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch mit Pflegekosten-Regressforderungen der Reichsbahn-Betriebskrankenkasse belastet. Mit dem zitierten Sektionsbefund der höchstangesehenen Gutachterinstanz in München durfte die Versicherung mit aller Zuversicht auf den Erfolg ihrer Klage hoffen. Wenn dem tatsächlich so gewesen ist, dann erlitt die trauernde Witwe des ermordeten Friedrich Zender weiteres Unrecht, indem sie um seinen berechtigten Krankenversorgungsanspruch nachträglich betrogen wurde.
Dokumentation Krankheitsgeschichte von Friedrich Zender (mit Zitaten seiner Patientenakte)
1938 | im Mai nicht datierter und nicht weiter diagnostizierter Arbeitsunfall im Reichsbahnausbesserungswerk Trier |
4.8.1938 | Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Trier wegen akuter Selbstmordgefährdung. Diagnose Dr. P. Wehr (Siehe oben) |
4.8.1938 | Ärztlicher Bescheid an die Reichsbahn-Betriebskrankenkasse Trier über die „sofortige“ Anstaltsbedürftigkeit des Versicherungsnehmers F. Zender (Wortlaut s.o.) |
5.8.1938 | Brüderkrankenhaus. Ausführliche Darstellung zur (Anamnese, s.o.) |
5.8.1938 | Bei der Morgenvisite ist der Patient freundlich und zu jeder Auskunft bereit. Er bestätigt in Großem und Ganzen die Aussagen seiner Ehefrau. Er könne es jetzt selbst nicht verstehen, wie er das habe machen können. Wahrscheinlich liegt es an den Nerven. Besonders im Hinblick auf seine Familie tue es ihm leid. Nun wolle er sich alle Anordnungen fügen, damit er bald gesund werden…..Macht einen niedergeschlagenen, mutlosen Eindruck. Ist zeitlich, über seine Person und seine Verhältnisse voll orientiert….Neurologisch keine Besonderheiten. Abschlussbefund: Selbstmordversuch, depressive Stimmungslage |
6.8.1938 | Assistenzarzt Dr. Arens: amtsärztliche Bestätigung des Einweisungsbefundes vom 5.8.. |
6.8.1938 | …Ist vollkommen klar, geordnet, bedauert immer wieder, dass er den Suizidversuch gemacht hat. Den Schaden, den er seiner Familie damit zugefügt habe, vor allem, wo er Söhne habe, die beim Militär seien.. |
7.8.1938 | Wird bei der Morgenvisite etwas aufgeregt, verlangt seine Entlassung , er sei doch gesund. Auf den Suizidversuch aufmerksam gemacht, entschuldigt er sich immer wieder damit, dass er mit den Nerven so herunter gewesen sei. Verhält sich dann den Tag über ruhig. |
9.8.1938 | Nachdem der Patient anfangs bei der Visite einen guten Eindruck gemacht hatte, wird er heute bei der Visite sehr erregt. Sagt u.a., es hätte doch keinen Zweck, dass Sie sich mit mir Mühe machen. Wer nicht mehr weiß, was er tut, gehört nicht mehr auf die Welt. Lassen Sie mich ruhig sterben! Ich bin nur anderen zu Last. Macht einen sehr deprimierten Eindruck. Blickt unruhig und gespannt im Saale umher.. |
11.8.1938 | Insulin abgesetzt. Patient ist seit gestern noch unruhiger geworden. Sagt bei der Visite…Ich bin es nicht wert, dass Sie mich behandeln, bitte übergeben Sie mich der Polizei, da gehöre ich hin. Die ganze Behandlung hat ja keinen Zweck, ich bin ja gesund, aber was ich gemacht habe, kann ich nicht mehr gut machen. Bitte richten Sie mich: Sie können mir nicht verzeihen. Verweigert die Nahrung. |
Reichsbahn-Krankenversicherung übernimmt nur 28 Tage der Krankenhaus-Kosten auf der „niedrigsten Pflegestufe“ |
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30.10.1938 | Unverändert. .., bei jeder Visite sich entschuldigend. |
15.11.1938 | Fragt in den letzten Tagen wiederholt nach seiner Entlassung, da er nicht hierher, sondern ins Zuchthaus gehöre, weil er seine Familie ins Unglück gestürzt habe. |
19.11.1938 | Anfrage der berufsgenossenschaftlichen (Reichsbahn-)Krankenkasse: Bestehen Heilungsaussichten, „da die Leistungen unserer Krankenkasse am 26.12.38 aufhören..?“ |
23.11.1938 | Antwort Chefarzt (Dr. Faas): „Voraussichtlich wird Zender nicht mehr arbeitsfähig, seine Invalidisierung erscheint daher angesagt.“ |
26.11.1938 | Gesundheitsamt Weimar benötigt Einweisungsdiagnose des Patienten Zender für das Ehetauglichkeitsverfahren seines Sohnes (Anfrage an Chefarzt Dr. Faas) |
3.12.1938 | Negativbescheid Dr. Faas: „Z. war bisher noch nicht in einer Anstalt, auch habe ich in der Familien-Anamnese nichts gefunden, was auf eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes hindeutet. Z. leider außerdem an Diabetes |
8.12.1938 | Ehefrau hält Geisteskrankheit für Folge eines Betriebsunfalls v. 28.5.1938 (Siehe aber 2.1.1939, T.S.) |
15.12.1938 | Unverändert, stark depressiv, voller blühender Wahnideen . Körperlich in schlechter Verfassung. |
2.1.1939 | Gutachter Chefarzt Dr. Faas bestätigt die Annahme einer Geisteskrankheit durch die Reichsbahn-Betriebsdirektion (Siehe unten 21.8.1939) |
5.4.1939 | Nahrungsaufnahme gering und nur nach Zureden. Nach wie vor ergeht er sich in Selbstbeschuldigungen. „Ich habe auch gestern die Erklärung abgegeben, dass ich nicht mit dem Ausland und einer kommunistischen Clique in Verbindung stehe, ich habe mich nur meiner Familie gegenüber versündigt. – Wird, da er über Sausen und Hörstörung im rechte Ohr klagt, Herrn Dr. Dupois FN: August Edmund Dupuis, HNO-Arzt und fachärztlicher Gutachter beim Erbgesundheitsgericht, nachweislich auch bei Erbgesundheitsverfahren gegen Schüler der Provinzial-Taubstummenanstalt Trier, Vgl. Privatarchiv Thomas Schnitzler: Biografien Trierer Ärzte der NS-Zeit (unveröffentlicht) überwiesen. |
17.5.1939 | Im Befinden hat sich nichts geändert. Der Kranke ist immer noch ganz abweisend, unzugänglich, steht mit finsterer Mine da, fixiert den Arzt äußerst feindseelig. |
2.6.1939 | Psychisch unverändert. Körperlich sehr zurückgegangen, isst sehr wenig. Nach wie vor depressive Stimmungslage, finsterer Gesichtsausdruck. „Machen Sie endlich Schluss mit der Sache hier. Ich bin es nicht wert, dass Sie sich um mich kümmern.“… |
Ca. 17. Juni 1939 | wurde am 15.6.1939 antrotomiert (Eiter von Wunde entfernt) Dr. Dohr (FN HNO-Arzt Dr. med. Josef Dohr (*20.07.1904 in Düsseldorf + 03.07.1972 Trier) Vgl. Privatarchiv Thomas Schnitzler: Biografien Trierer Ärzte der NS-Zeit (unveröffentlicht) |
15.8.1939 | verlegt nach Andernach |
15.8.1939 | Kommt mit einem Transport aus der Anstalt der barm. Brüder in Trier und wird zunächst nach Station IIa verlegt. …stark reduzierter allgemeiner Kräftezustand Körperlicher Befund: Größe 1,62 M; Gewicht 41 Kg, Temperatur: 36,7….Harn: kein Eiweiß, Zuckerausscheidung schwankt zwischen 2-5% |
21.8.1939 | Befindet sich körperlich in einem sehr stark reduzierten Kräftezustand. Das Körpergewicht beträgt 41 Kg. Psychisch ist Patient völlig gehemmt. Mit traurigem Gesichtsausdruck steht Patient auf der Abteilung herum, spricht spontan nichts, gibt bei Anrede nur kurze einsilbige Antworten. Ist zeitlich, örtlich und persönlich richtig und ausreichend orientiert. |
21.8.1939 | Reichsbahndirektion an Dr. Kreisch in Andernach: Bitte um fachärztliche Einschätzung der Krankheitsursache. Besteht ein Zusammenhang der Geisteskrankheit des Patienten Zender und seinem Arbeitsunfall vom 28.5.1938 im Reichsbahnausbesserungswerkk Trier (Wortlaut siehe Darstellung) |
30.08.1939 | Gleichbleibendes Zustandsbild allgemeiner psychischer Hemmung. Sitzt, sich selbst überlassen, stumpf vor sich hindösend im Tagesraum der Abt. herum. Muss zu allen Verrichtungen, wie An- und Ausziehen, Waschen und Essen, angehalten werden. |
4.10.1939 | unverändertes Zustandsbild |
17.10.1939 | Soll in den letzten Nächten durch starken Husten aufgefallen sein…..Keine objektiv nachweisbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer tuberkulösen Erkrankung. Erhält wegen des allgemein schlechten Körperzustandes Zulage, soll in den nächsten Tagen noch 20.E. Deposolin erhalten. |
18.10.1939 | Ist einerseits körperlich zu hinfällig, andererseits psychisch zu gehemmt, um eine längere Exploration aushalten zu können. Nach dem Ablauf des Unfalls von Mai 1938 gibt Patient eine Schilderung, die mit dem in den Akten niedergelegten Bericht übereinstimmt. Nach den Gründen seiner Einweisung in der Anstalt der Barmherzigen Brüder in Trier befragt, gibt er an, er hätte damals „zu schlechte Nerven“ gehabt. Will sonst psychisch nicht besonders krank gewesen sein. Dass er stark unter dem Einfluss seiner hypochondrischen Wahnideen gestanden u auch schon einen Selbstmordversuch unternommen habe, möchte Pat. jetzt nicht wahrhaben. Geht Schließlich auf weitere Fragen gar nicht mehr ein, blickt uninteressiert im Saal umher…. |
18.10.1939 | Dr. Kreisch: Auftragsgutachten für die Reichsbahndirektion (Siehe 21.8.39) über Patienten Zender: Krankheit nicht unfallbedingt – Bestätigung des Erbkrankheitsbefundes von Dr. Faas (2.1.1939) |
20.10.1939 | Wegen der jetzt bereits schon mehrere Tage anhaltenden schlechten Nahrungsaufnahme und der dadurch hervorgerufenen Verschlechterung des Allgemeinbefindens wird Patient heute mit der Sonde gefüttert. |
21.10. 1939: | Wegen der jetzt schon mehrere Tage anhaltenden schlechten Nahrungsaufnahme und der dadurch verursachten Verschlechterung des Allgemeinbefindens wird Pat. Heute mit der Sonde gefüttert. |
21.10.1939 | späterer Eintrag Befindet sich heute morgen zur Zeit der Visite in moribundem Zustand. Heute nachmittags 4 Uhr 30 min. Exitus Letalis Dr. Kreisch |
21.10.1939, | 16 Uhr 30 Sterbedatum (siehe 23.10. Sonderstandesamt) |
23.10.1939 | Todesanzeige beim Sonderstandesamt Andernach unter Angabe der Todesursachen a)Depression bei vorzeitiger Altersrückbildung b) zunehmender körperlicher und geistiger Kräfteverfall c)Kalexie. Unterzeichner. „Der Direktor“ |
24.11.1939 | Reichsbahndirektion Stuttgart an Anstaltsdirektor Andernach: Bezugnahme Gutachten Dr. Kreisch (18.10.39) u. Todesanzeige Zender: Bitte um „Mitteilung der Todesursache“ sowie über etwaige „nachträgliche Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und dem Unfall vom Mai 1938“ |
30.11.1939 | Dr. Kreisch. Antwort an Reichsbahndirektion Stuttgart: Hirnpathologisches Institut der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFP) beauftragt mit weiteren Klärung des fraglichen Ursachenzusammenhangs |
4.12.1939 | München: Hirnpathologischer Sektionsbefund der DFP: „…nirgends Zeichen ehemaliger traumatischer Schädigungen“ |
Quellen
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z
Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. Nr. 15213 Patientenakte Friedrich Zender
Hirnpathologischer Sektionsbefund über Friedrich Zender vom 8.11.1939. In: Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie-HA: Anatom. Diagnosen, 1939ff., 288/39
Privatarchiv Schnitzler: Daten der Ärztebiografien Brüggendieck, Dohr, Faas und Wehr
Literatur
Heinz Faulstich: : Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998
Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108
125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001
Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Frankfurt/Main 2001
Gesche Klein-Menke: Den Opfern ihre Namen zurückgeben. In: Max-Planck-Gymnasium Trier: Jahrbuch 2012/2013, S. 162-163
Torsten Mergen: Vom Irrenhaus zur Reformeinrichtung. Das Landeskrankenhaus Merzig 1876-1998. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 48 (2000), S. 222-275
Dunkle Seite der Forschung. Hirnpräparate von NS-Opfern: Max-Planck-Institut startet Großuntersuchung- In: Focus Online vom 2. Mai 2017
Matthias Weber: Rassenhygienische und genetische Forschungen an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/Kaiser-Wilhelm-Institut in München vor und nach 1933. In: Doris Kaufmann (Hrsg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bd. 1. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. Göttingen 2000, S. 95-111