Jakob Hemgesberg

Geburtsdatum: 24.05.1869 Mehring
Sterbedatum: 29. Oktober 1939 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße 7, verlegt 18. November 2012

Stolperstein Jakob Hemgesberg, Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7, Verlegt 18.11.012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7. Verlegt 18. November 2012

Die Identifizierung von Jakob Hemgesberg als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Jakob Hemgesberg achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.

In der Patientenakte fanden sich weitere biografische Angaben: Jakob Hemgesberg wurde am 24. Mai 1869 in Mehring geboren. Am 2. Mai 1939, dem Tag seiner Anstaltseinweisung in Trier, protokollierte der zuständige Anstaltsarzt außer der Einweisungsdiagnose „Altersirresein“: seine Glaubensbekenntnis „katholisch“, seinen Familienstand: verheirateter „Wittwer“ und seine Wohnadresse „Mehring, Dorfstraße 135“. Seine Ehefrau Margarete (1881 geborene Spieles) war 1903 verstorben. Ihre vier Kinder waren: Jakob, geboren am 2.12.1907, Johann, geboren am 27.1.1912, Georg, geboren am 15.10.1903, Nikolaus, geboren am 30.5.1915 und die in Duisburg-Meiderich verheiratete Margarete Blankerts.

Den Einweisungsbefund hatte der Trierer Amtsarzt Dr. Arthur Spieker, der in dieser Funktion auch Fachgutachten für das Erbgesundheitsgericht beim Amtsgericht Trier abgab, dem Anstaltsarzt in dieser erweiterten Diktion übermittelt: „Verwirrtheit, verkehrte Handlungen und Unreinlichkeit“.

Am 23. Mai 1939 wurde Jakob Hemgesberg nach dem damals üblichen standardisierten „Intelligenz-Frage-Bogen“ auf seinen Geisteszustand hin untersucht (siehe Abbildung „Krankenblatt“). Der diese Befragung protokollierende Arzt notierte diese negative Bewertungen:

„Alle diese Antworten erfolgen nach langem Überlegen, wobei sich Patient dauernd ratlos-verlegen mit der Hand durchs Gesicht fährt.“….“Sehr langsam in der Gedankenentwicklung und Ausdrucksweise. Ringt nach Worten.“

Die in der Zwischenanstalt Andernach über Jakob Hemgesberg verfassten Krankenberichte unterscheiden sich von denjenigen in Trier hinsichtlich eines formalen Aspektes, der oben an der Krankenakte des zeitgleich nach Andernach verlegten Josef Besslich festgestellt wurde. Die letzten Eintragungen schrieb der Verfasser, ein Pfleger oder Arzt, nicht mehr mit der Schreibmaschine, sondern in Handschrift. Deren einerseits flüchtiger, andererseits aber kohärenter Duktus lässt die Vermutungen anstellen, dass diese Einträge post mortem in einem Verschriftungsvorgang zur Verschleierung eines absichtsvollen Sterbenlassens in der Krankenakte eingefügt wurden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber entsprachen die in der Sterbeurkunde beschriebenen Todesursachen „Arterienverkalkung der Gehirngefäße, Verwirrtheitszustand, Kreislaufschwäche“ nicht der Wahrheit.

Personalakte (Deckblatt) von Jakob Hemgesberg Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 5656
Abb. 2 Personalakte (Deckblatt) von Jakob Hemgesberg


Abb. 3 „Krankheitsverlauf“ laut Patientenakte (Trier)

Für eine frühzeitige Vernachlässigung zur Herbeiführung eines schnellen „Hungersterbens“ infolge gezielter Mangelkost, eventuell in Kombination mit Medikamentenentzug oder tödlichen Überdosierungen könnten sich die Anstaltsärzte bei Jakob Hemgesberg wohlmöglich aufgrund des offensichtlich fehlenden Rückhaltes Seitens seiner Familie entschieden haben. Nach seiner Anstaltseinweisung scheint sich keiner seiner drei Söhne um ihn weiter gekümmert zu haben. Allein die in Duisburg-Meiderich lebende Tochter Marga erkundigte sich, nachdem sie von einem Bruder von der Anstaltseinweisung ihres Vaters erfahren hatte, persönlich bei der Anstaltsleitung nach seinem Befinden. Das von ihr am 19. Mai 1939 abgeschickte Schreiben befindet sich in der Krankenakte (siehe Abbildung und Briefwortlaut hier unten).

Dokumentation der Krankengeschichte von Jakob Hemgesberg anhand seiner Patientenakte (Auszüge)

2. Mai 1939    Krankenhaus der Barmherzigen Bruder mit Diagnose (24.5.1939) Altersirresein, aber körperlich wohlauf
 
2.5.1939 Wird heute auf Veranlassung von Herrn Dr. Spieker (Dr. med. Arthur Spieker, Gutachter beim Erbgesundheitsgericht Trier, T.S.) wegen „Verwirrtheit, verkehrten Handlungen und Unreinlichkeit“ in die hiesige Anstalt eingewiesen.
 
10.5.1939 Nachdem aus dem Patienten die vorausgegangenen Tage nichts vernünftiges herauszubringen war als der stereotype Wunsch, ihn nach Hause zu schaffen, ist heute zum erstenmale (sic, T.S.) eine einigermaßen orientierende Exploration möglich. (Wortlaut der Befragung durch den Amtsarzt siehe Abb.)
 
15.5.1939 Pat. liegt meist zu Bett und schläft. Steht ab und zu auf und irrt in der Gegend herum. Ist (Wort?) unsauber…
 
19.05.1939 Unbeantwortete Anfrage der Tochter Marga Blankerts (Siehe Abbildung und Dokumentation)
 
20.5.1939 Keine Aenderung. Will öfter etwas fragen, ringt ersichtlich mit den Worten und bringt doch nichts vernünftiges heraus.
 
23.5.1939 (abermals explorierende Befragung durch Amtsarzt, siehe Abbildung, beendet mit Schlussdiagnose, Wortlaut wie folgt): Sehr langsam in der Gedankenentwicklung und Ausdrucksweise. Ringen nach Worten.
 
10.7.1939 Liegt dauernd im Bett, ist sehr unrein. Hat z.B. vorige Nacht 3 x neben sein Bett uriniert. Schläft viel und döst in den Tag hinein. Unsauber in der Nahrungsaufnahme,…
 
15.8.1939 Verlegt nach Andernach
 
15.8.1939 kommt mit Transport aus der Anstalt der Barmh. Brüder in Trier und wird zunächst nach Station IIIC gelegt
 
29.10. 1939 In den letzten Tagen steter körperlicher Rückgang. Heute mit Zeichen von Kreislaufschwäche +
 
29.10.1939 Sterbebeurkundung beim Sonderstandesamt Andernach mit Todeszeitpunkt 16 Uhr 30 und Todesursachen Arterienverkalkung der Gehirngefäße, Verwirrtheitszustand, Kreislaufschwäche
 

19.5.1939 Anfrage der Tochter Marga Blankerts bei der Heil- und Pflegeanstalt Trier

Bitte geben Sie mir doch umgehend Nachricht, was mit meinem Vater los ist, er soll, so wie mir mein Bruder geschrieben hat, geistesgestört sein, ist das wahr? Und besteht keine Möglichkeit zur Besserung für ihn , und woher ist das gekommen? Ich bin die einzige Tochter, die er hat, alles andere sind Jungen, da können sie sich denken, dass ich mir etwas mehr Gedanken mache, wie die Männer. Was kostet der Aufenthalt in der Anstalt? Und wer bezahlt denselben?, bitte, bitte, lasse(n) Sie mich nicht länger als unbedingt nötig warten, ich habe Tag und Nacht keine Ruhe, habe selbst (1 Wort „Last“?) mit einer Nervenlähmung, so dass ich wirklich nicht zu beneiden bin, ist es erforderlich, dass ich nach dort hin komme? Bitte schreiben Sie mir doch genau, wie sich die Sache verhält,

Im Voraus tausend Dank

Ihre Frau Blankerts
Im Namen meines Vaters Jakob Hemgesberg aus Mehring, a/d. Mosel

19.5.1939 Anfrage der Tochter Marga Blankerts, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 5656
Abb. 4 19.5.1939 Anfrage der Tochter Margarete Blankerts

Jakob Hemgesberg Patientenakte (Andernach),
Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 5656
Abb. 5 „Krankheitsverlauf“ laut Patientenakte (Andernach) mit Sterbeeintrag

Jakob Hemgesberg - Todesanzeige (Sonderstandesamt) Andernach, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 5656
Abb. 6 Todesanzeige Sonderstandesamt Andernach
 

Korrigenda

Aufgrund eines Übertragungsfehlers wurde der Todestag auf dem Stolperstein zwei Tage zu früh angegeben, nämlich „27.10.“ statt „29.10.1939“.
 

Quellen

Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z

Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 5656 Patientenakte von Jakob Hemgesberg

Literatur

Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998

Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108

125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001

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