Johann Maes
Geburtsdatum: 11.7.1876 Herforst (Eifel)
Sterbedatum: 17.Juni 1941 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 18. November 2012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7. Verlegt 18.11.2012
Abb. 2 Porträtfoto Johann Maes
Die Identifizierung von Johann Maes als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Johann Maes achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.
Bei den weiteren Biografie-Forschungen kooperierte die am Max-Planck-Gymnasium im Schuljahr 2012 von Frau Gesche Klein-Menke betreute Stolperstein-Projektklasse. Als Informationsquellen wurden Kopien der Patientenakte eingesehen. Dazu konnte ein Porträtfoto bei einer in Kordel lebenden Enkelin, Frau Margit Schuh, gefunden werden. Frau Schuh und ihr Sohn unterstützten das Schülerprojekt mit großer Empathie, weil das bisher unbekannte Schicksal ihres Großvaters auf diese Weise geklärt werden konnte. Als begründet erwies sich dann auch das Misstrauen über den angeblich natürlichen Todesfall von Johann Maes, das die Angehörigen Jahrzehnte lang unausgesprochen belastet hatte.
Johann Maes wurde am 11. Juli 1876 in Herforst (Eifel) geboren. Er arbeitete in Kordel als Steinhauer bei der Steinhauerfirma Hött. Mit seiner Ehefrau Anna (17.12.1879 geb. Munkes) wohnte er in einem Haus am Hauptlatz Nr. 3 in Kordel. Sie hatten sechs Kinder: Matthias (*8.1.1904), Katharina (*n.n. vor 1914, 1940 verheiratet in Frankreich), Jacob (*13.10.1911 Kordel), Mathilde (*2.3.1913 Luxemburg), Maria (*24.05.1916), Otto (*n.n.) und Marga (*2.4.1919).
Nach einem Arbeitsunfall, bei dem er einen Mittelfinger verlor, und wegen angeblichen Streitigkeiten über seine Rentenversicherung erlitt Johann Maes im Jahre 1938 mehrere Nervenzusammenbrüche. Offenbar wusste sich Frau Maes gegen ihren auf einmal tobsüchtigen und häufig auch handgreiflich werdenden Ehemann nicht anders zu helfen, als seine Einweisugn in der Psychiatrie-Abteilung (damals „Heil- und Pflegeanstalt“) des Brüderkrankenhauses zu beantragen. Nach drei stationären Aufenthalten dort – 24. September bis 4. November 1938 und 13. November bis 25. Januar 1939 – erfolgte die endgültige Einweisung am 27. Januar 1939.
Laut der Krankenberichte litt Johann Maes gewiss an einer schweren psychiatrischen Erkrankung. Wegen wiederholter Tobsuchtsanfälle und aggressivem Verhalten wurde er wiederholt auf Einzelzimmer verlegt, an sein Bett fixiert und mit Beruhigungsspritzen (Luminal) ruhig gestellt. Die durch diese Erkrankung ihres Mannes schwer belastete Ehefrau scheint indessen zu keiner Zeit die Hoffnung auf eine Heilung seiner Erkrankung aufgegeben zu haben. Als sie ihn im Brüderkrankenhaus im März 1939 besuchte, machte sie ihm Hoffnung auf eine mögliche baldige Entlassung. Auch nach seiner Verlegung nach Andernach hat sie ihn mehrmals besucht, wie die Enkeltochter Margit Schuh aus ihren Erzählungen noch zu berichten weiß. Die in der Krankenakte überlieferte Briefkorrespondenz (siehe unten) belegt ihr andauernde Besorgnis um das Befinden ihres erkrankten Ehemannes.
Abb. 3 26.09.1938 Aufnahme in der Heil- u. Pflegeanstalt Trier
Abb. 4 „Krankheitsverlauf“ (Auszug aus Krankenakte) Trier Sept./Okt. 1938
Die von dem Anstaltsarzt ausgestellten Diagnosen, seine Antwortschreiben an die Ehefrau und insbesondere die von ihm über den Todesfall Johann Maes erstellte Sterbediagnose (s.u.) waren nach den medizinhistorischen Erkenntnissen Falschangaben, die den organisierten Krankenmord durch Hungertod und absichtsvolle Mangelpflege verschleiern sollten. Frau Maes wird aufgrund ihres ständigen Nachfragens bei dem leitenden Anstaltsarzt und bei ihren Besuchen in Andernach Beobachtungen gemacht haben, die in ihr wohl früh wachsendes Misstrauen erweckten. Bei ihrem letzten Besuch soll sich ihr Mann noch wohlgemut verabschiedet haben. Johann Maes verstarb laut der Krankenakte am 17. Juni 1941 um 18 Uhr 15. Der Sonderstandesbeamte folgte bei der Beurkundung des Sterbeaktes den Eintragungen von Dr. Kreisch. Auf einem Einlageblatt der Krankenakte war auf einem maschinenschriftlich vorgefertigten Formblatt mit Handschrift lediglich der Name von Johann Maes und das Sterbedatum vermerkt. Die als natürliche Todesursache vorgegebenen Diagnosen lauteten „Hirnaderverkalkung, Krampfanfälle, Verwirrtheit, akute Verwirrtheitszustände.“
Dokumentation der Krankengeschichte von Johann Maes anhand seiner Patientenakte (Auszüge)
24. September bis 4. November 1939 | Brüderkrankenhaus (Heil- und Pflegeanstalt) |
24.09.1938 | Einweisung in Begleitung seiner Ehefrau und eines Sanitäters; Aufnahmebefund: „Die Ehefrau machte folgende Angaben. Bis vor drei Jahren habe ihr Mann sehr viel getrunken und zwar meistens nachts. Vor drei Jahren hatte er einen Unfall, wobei er den rechten Mittelfinger verlor. Schon bei der damals vorgenommenen Operation sei der Patient schwer zu narkotisieren gewesen. Einige Tage später habe er einen drei bis vier Tage anhaltenden Verwirrtheits- und Erregungszustand gehabt. Danach sei er wieder normal gewesen. Als er sich vor einem Jahre wegen einer Rentenangelegenheit aufgeregt habe, sei er von neuem 3 Tage lang vollkommen verwirrt und sehr laut gewesen. Jetzt befindet er sich neuerdings wieder in einem ähnlichen Zustand. Er schreie laut, rede durcheinander und nehme gegen sie eine drohende Haltung ein.“– Körpergewicht: 68 Kg,. Körpergröße: 163 cm |
25.09.1938 | Anstaltsarzt an Kostenträger (Allgemeine Ortskrankenkasse, nachfolgend AOK): „Der Aufgenommene bedarf wegen seines Verwirrtheitszustandes unbedingt der Anstaltsbehandlung. Wir bitten um gefällige Übernahme der Kosten….“ |
28.09.1938 | AOK an die „Heil- und Pflegeanstalt des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Trier“. Nach Prüfung des Falles wird die „Übernahme der Krankenhauspflegekosten für den Versicherten Johann Maes abgelehnt.“ |
04.11.1938 | Patient Johann Maes „als geheilt entlassen“. |
7.11.1938 | Landesprovinzialverband an Verwaltung der Heil- und Pfleganstalt Trier: „Die Fürsorgepflicht des Rheinischen Landesfürsorgeverbandes wird für den an 24.9.1938 in die Heil- und Pflegeanstalt der Barmherzigen Brüder zu Trier aufgenommenen hilfsbedürftigen geisteskranken Johann Maes aus Kordel….anerkannt“ |
15. Dezember bis 25. Januar 1939 | Zweite Einweisung stationär (Brüderkrankenhaus) mit Diagnose „Nervenzusammenbruch“ vom 13.12. |
16.12.1938 | Bericht über Einweisung „wegen tobsüchtiger Erregungen“…“ Patient ist bei seiner Aufnahme hochgradig errregt; Er brüllt und tobt und lärmt, versucht seine Umgebung anzugreifen. Nach ¼ Stunde fällt er in tiefen Schlaf“ nach Injektion von Morphium-Scopolamin.“ |
17.12.1938 | „Heute gegen Mittag wieder hochgradig erregt, schlägt wie wild um sich, kommt mit seinen Mitpatienten in Schlägereien, greift sie hinterrücks an, überfällt sie, schlägt und stößt mit den Füßen nach ihnen. Dem Pat. Müller versucht er ein Ohr abzubeißen. Der Kranke benimmt sich wie ein wildes Tier, in unzusammenhängenden Redensarten lässt er seine Wahnideen erkennen, total verwirrt. Erhält wieder eine M-Scop (Morphium- Scopolamin) Injektion. |
18.12.1938 | Benachrichtigung der Ehefrau Anna Maes durch Anstaltsleiter Dr. Faas: „…musste Ihr Mann am verflossenen Freitag wegen tobsüchtiger Erregungen in unsere Anstalt eingeliefert werden…Er tobt wie ein Wilder und vergreift sich an seinen Mitpatienten. Ich möchte nicht verfehlen, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass bei derartig schweren Tobsuchtsanfällen bei Ihrem Mann,der schon älter ist und bei dem im Evangelischen Krankenhaus Arterienverkalkung festgestellt worden ist, sehr leicht lebensbedrohliche Herzschwächeanfälle auftreten können.“ |
(am Tage nach der Wiederaufnahme): „bei der Aufnahme in maniakalischer (tobsüchtiger, T.S.) Erregung,…lässt sich nicht beruhigen, will immer wieder aus dem Bett heraus. Muss gegen Morgen eine Injektion Scop. Morph(ium) bekommen, nach der er sich einigermaßen beruhigt.“ |
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9.03.1939 | „Der Kranke hatte gestern nachmittags Besuch von seiner Frau, die von Entlassung gesprochen hat. Jedesmal reagiert er auf die Entlassungsfrage mit heftigen Erregungszuständen: diesmal mit Anfällen. Bei der Visite schlief er noch. |
15.8.1939 | Überführung nach Andernach mit Sammeltransport |
10.9.1939 | „Zeigt ein ganz abweisendes Verhalten, sieht einen bei Anrede ratlos an, liegt mit zum Beten gefalteten Händen zu Bett, schaut starr nach der Decke. Wirkt sehr störend durch sein gelegentliches stundenlanges Schreien und Singen, namentlich in der auf die Anfälle folgenden Zeit stört Pat.die Ruhe auf der Abteilung, wird deshalb ins Einzelzimmer verlegt. Hat vier Anfälle gehabt. |
20.12.1939 | „Weiterhin sehr störend und belästigend durch sein ständiges Jammern und Singen. Liegt meist wie umdämmert im Bett, ist gar nicht zu fixieren. Fängt dann ganz plötzlich an zu schimpfen, redet ganz unverständliches Zeug. |
26.1.1940. | „Hatte in den letzten 3 Monaten des vergangenen Jahres je 2 Anfälle gehabt. Vollführt stundenlang seinen Sing-Sang, scheint auch unter dem Einfluss von Halluzinationen zu stehen. Diagnose: Hirnarteriosklerose mit symptomatischen Anfällen. Dr. Kreisch“ |
30.5.1940 | „In den letzten Monaten treten gehäufte Erregungs- und Verwirrtheitszustände ein, die in ihrem Ablauf deutlich epileptischer Natur waren. Singt in diesen religiös gefärbten deliranten Zuständen stundenlang Kirchenlieder, musste ins Einzelzimmer verlegt werden.“ |
30.4.1941 | letzter Eintrag „Liegt ständig im Bett, unsauberer Kranke, uriniert in sein Bett. Hat häufig starke Erregungszustände, schreit wie ein wildes Tier. Der Inhalt seiner Redensarten ist meist religiöser Art. Muss oft ins Bad und unter Narkotika gesetzt werden….Patient ist schlecht zu behandeln, da er sich sträubt und die Verbände abreißt.“ |
18.6.1941 | Sterbeurkunde (Wortlaut) Sonderstandesamt Andernach: „Am 17.6.1941 um 18 Uhr 15 ist in der Provinzial-Heil- und Pfleganstalt Johann Maes, Steinhauer, geb. 11.7.1876 zu Herforst …verstorben….. a)Hirnaderverkalkung des Gehirns b)symptomatische Krampfanfälle, Verwirrtheit c)Herzmuskelentartung, Gefässverschluss i. Gehirn“ |
Korrespondenzverkehr mit Angehörigen
19.03.1940 | Kordel: Anfrage Frau Anna Maes an den Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Andernach: Möchten bitte Sie mir mitteilen, wie es meinem Mann Johann Maes geht und ob ich ihn besuchen kann…. |
26.03.1940 | Antwort Dr. Kreisch. Der Zustand ihres Mannes ist unverändert. Sie können ihn jeden Montag und Donnerstag Nachmittags besuchen…“ |
15.09.1940 | Frau Maes an Anstaltsleiter in Andernach: Unterzeichnete Frau Johann Maes möchte sich nach ihrem Ehemann Johann Maes, welcher sich zur Zeit dort befindet, nach dem Gesundheitszustand erkundigen und ob man ihn besuchen kann…“ |
14. Januar 1941 | Frau Maes an Anstaltsleiter in Andernach: Möchte Sie bitten, mir Auskunft zu geben, wie es meinem Mann Johann Maes geht und ob sein Zustand sich gebessert hat… |
16. Januar 1941 | Antwort Dr. Kreisch: Sehr geehrte Frau Maes, auf Ihre letzte Anfrage wird Ihnen mitgeteilt, dass in dem Krankheitszustande Ihres Mannes in der seit Ihrer letzten Anfrage verflossenen Zeit keine Änderung eingetreten ist. Bei der Natur der Erkrankung Ihres Mannes (zunehmende und häufige Verwirrtheit auf dem Boden einer Hirnarteriosklerose) ist mit einer Besserung auch nicht mehr zu rechnen, so dass Ihr Mann höchstwahrscheinlich dauernd in der Anstalt bleiben muss. |
Abb. 5 11.11.1938 Ärztlicher Bericht über Johann Maes an das Versorgungsamt
Abb. 6 18.12.1938 Schreiben Dr. Faas an Frau Maes (Ehefrau) Benachrichtigung über Tobsuchtsanfall u. Lebensgefahr.
Abb. 7 15.8.1939 Aufnahme Heil- u. Pflegeanstalt Andernach
Abb. 8 16.8.1939 Kleiderzettel am Tag nach der Aufnahme
Abb. 9 19. März und 15. März 1940: Schreiben von Frau Maes an Anstaltsleiter
Abb. 10 19. September 1940: Dr. Kreisch (Andernach) an Frau Maes
Abb. 11 14. Januar 1941: Frau Maes an Anstaltsleiter und Abb. 12 16. Januar 1941 Anstaltsleiter an Frau Maes
Abb. 13 „Krankheitsverlauf“ (Auszug Krankenakte) Andernach, letztes Blatt
Abb. 14 Sterbeurkunde Johann Maes (Sonderstandesamt Andernach)
Quellen
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 456 Patientenakte Johann Maes
Frau Margit Schuh: Porträtfoto Johann Maes, Sterbeurkunde Johann Maes; Zeitzeugengespräche 2012
Literatur
Katja Bernardy: Endlich wissen, was mit Opa passiert ist. Psychiatriepatienten während der Nazi-Zeit ermordet – Stolpersteine bald vor dem Brüderkrankenhaus. In: Trierischer Volksfreund vom 17.-18. November 2012. In: Trierischer Volksfreund vom 16.11.2012
Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998
Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108
125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001