Leo Wachsmann
Geburtsdatum: 10.10.1896 Lodz, Staatenlos
Sterbedatum: 17. Juli 1940 Ilten
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 08.09.2016
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 08.09.2016
Leo Wachsmann war einer der bisher nicht benannten Psychiatriepatienten jüdischer Konfession, die bei den großen Räumungstransporten aus dem Krankenhaus der Barmherzigen Bruder dem organisierten Vernichtungskreislauf der Euthanasie-Aktion T 4 ausgeliefert worden waren.
Sein Name und sein Geburtsdatum waren bereits erwähnt worden in dem 1984 von dem Autor Jacobs publizierten Grundlagenwerk über die „Existenz und den Untergang der alten Judengemeinde der Stadt Trier“. Die Leo Wachsmann betreffende Seite befindet sich in dem 45 Seiten umfassenden Anhang mit der Überschrift „Verzeichnis der von Trier deportierten Juden.“ Unter der Rubrik „Wohnung in Trier“ ist lediglich die Adresse „Nordallee 6“ vermerkt, aber keine erklärende Angabe über das Wohngebäude bzw. die Wohnverhältnisse selbst.
Diese für das Gedenkprojekt aufschlussreiche Erklärung gab dann Martin Junk in dem von ihm 2001 überarbeiteten Gesamtregister über Triers jüdische Einwohner. Junk ergänzte die unter Nr. 2402 aufgeführten Kurzbiografie von Leo Wachsmann hinter der Adresse „Nordallee 6“ um den Zusatz „Heil- u. Pflegeanstalt. Brüderkrankenhaus“. Junks abschließende Biografie-Information über Wachsmanns Weggang von Trier, „03.08.1939 Bedburg-Hau Anstalt“ (Junk 2001, Nr. 2402) ergaben dann im Abgleich mit der neueren Forschungsliteratur (Ries 2006 u. Jacobs 1984) die eingangs erwähnte Schlussfolgerung: Leo Wachsmann gehörte als jüdischer Einwohner – wie der oben genannte Josef Schmitz – zu jenen 70 Psychiatriepatienten, die an dem genannten Datum mit einem Sammeltransport von Trier nach Bedburg Hau gebracht worden waren. Jene im Bezirk Düsseldorf gelegene „Heil- und Pflegeanstalt“ war, wie u.a. Ralf Forsbach belegt (Forsbach 2017), verstrickt in die systematisch zusammengestellten Zuliefertransporte, die im Rahmen der Aktion T 4 mit Sammeltransporten zum Massenmord in die Tötungsanstalten abschoben.
Zur Ermittlung des Schicksals von Leo Wachsmann erging eine weitere Anfrage an das Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim-Brauweiler, in dessen Beständen sich Patientenverzeichnisse aus Bedburg-Hau befinden. In seinem Antwortschreiben vom 18. Mai 2016 übermittelte Dr. Wolfgang Schaffer die fraglichen Informationen: Als die dortige Pflegeanstalt in Bedburg-Hau zu Beginn des 2. Weltkrieges geräumt wurde für den Ausbau zu einem Wehrmachtlazarett, wurde Wachsmann am 23.11.1939 in einem weiteren Sammeltransport zusammen mit 80 Männern „verlegt“ in die Heil- und Pflegeanstalt Ilten (Ortsteil Stadt Sehnde) südöstlich von Hannover. Die Akten datieren seinen Tod am 17. Juli 1940.
In der privat betriebenen Pflegeanstalt Ilten unterschieden sich die Verhältnisse nach neueren Erkenntnissen (Hermeler 2002, S. 39 u. Reiter 2005, S. 7 u. 14) nicht von denen in den „Zwischenanstalten“ wie Andernach oder anderen staatliche „Heil- und Pflegeanstalten“. Seit Kriegsbeginn stiegen auch hier die Sterberaten auf überdurchschnittliche Prozentanteile (1942 höchste Sterbequote 16%); ein deutliches Indiz der systematisch organisierter Patientenvernachlässigung durch Nahrungsentzug („Hungersterben“), Medikamenten-Entzug oder gezielt todbringende Medikamentenvergaben.
Nach einer aktuelleren Studie arbeitete Leo Wachsmann in einem werkkünstlerischen Beruf, nämlich als „Holzbildhauer“. Über Datum und Veranlassung seiner Einweisung in die Psychiatrieanstalt der Barmherzigen Brüder in Trier finden sich in dem erwähnten Werk keine Angaben (Körtels 2013, S. 25). Die Familie von Leo Wachsmann wohnte demnach in Wawern an der Saar.
Zum ungeklärten Schicksal seiner Angehörigen ergaben die weiteren Nachforschungen die abschließend zu erwähnenden ersten Hinweise. Im August 1940 floh Wachsmanns Ehefrau Frieda (7. März 1903 geborene Kaufmann) mit drei Angehörigen über Luxemburg nach Frankreich und von dort nach Kuba. Ihre drei minderjährigen Fluchtbegleiter (vgl. Körtels 2013 a.a.O.) Jakob (geb. 20.2.1924), Lutbert (18.6.1925) und Ella (4.12.1926, vgl. Körtels 2013 a.a.O.) waren vermutlich ihre drei Kinder.
1952 wohnte Frieda Wachsmann in New York City, 600 West 141th Street. Unter dieser Adresse beauftragte sie in New York City Jacob Sondheimer als Prozessbevollmächtigen für ihre Wiedergutmachungsklage (vgl. LHaKo Best. 540,02 Nr. 1018). Den Schriftverkehr mit dem Amt für Wiedergutmachung erledigte sie über das Geschäftsbüro des „Zustellungsbevollmächtigten“ Carl Bloch, Frankfurt am Main, Stegerstr. 36. Klagegenstand waren die bei der Flucht und Vertreibung ihrer Familie aus Wawern an das Deutsche Reich per „Einzugsverfügung“ übereignete Grundbesitztümer. Die letzte in Wawern verbliebene Eigentümerin, Friedas Mutter Adele Emma Kaufmann, 22.8. 1866 in Wawern geborene Meyer, war nach ihrer Deportation vom 20. September 1942 nach Theresienstadt im Folgejahr dort (am 6. Mai 1943) umgekommen (Nolden 2010, S. 98). Die Einzugsverfügung erwirkten die Behörden erst am 19. Dezember 1942, wahrscheinlich in Kooperation mit der Gestapo bei der bereits internierten Eigentümerin.
Bei dem enteigneten Grundbesitz handelte es sich um ausgedehntes Hof- und Gartenland mit der Lagebezeichnung Grundbuch Saarburg, Blatt 940“, dort auch mit spezifizierenden Flächenangaben a)Hofraum mit Kirchgarten, Hausgarten – 3.74 A, b)Garten mit Kirchgarten, 0.57 Aar, c)Garten mit Kirchgarten 28 ar, e)Garten mit Kirchgarten 0.28 ar. (vgl. LHaKo Best. 540,02 Nr. 1018)
Am 8. Mai 1952 entschied die Restitutionskammer per Gerichtsbeschluss die Einziehungsverfügung vom 20. September 1942 „für nichtig.“
Quellen
Archiv des Landschaftsverbandes Pulheim Brauweiler. Schreiben/Mail Dr. Wolfgang Schaffer vom 18. Mai 2016
Landeshauptarchiv Koblenz (LHaKo) Best. 540,2 Nr. 1018 u.a. Restitutionsklage von Wittwe Frieda Wachsmann geb. Kaufmann, Wawern N. 7.
Literatur
Ralf Forsbach: Euthanasie und Zwangssterilisierungen im Rheinland. In: Portal Rheinische Geschichte. Internetquelle o.J. (gelesen 22.4.2017)
Ludwig Hermeler: Die Euthanasie und die späte Unschuld der Psychiater. Massenmord, Bedburg-Hau und das Geheimnis rheinischer Widerstandslegenden. . Essen 2002 (=Dokumente und Darstellungen zur Geschichte der rheinischen Provinzialverwaltung und des Landschaftsverbandes Rheinland. Bd. 14, S. 59 betr. Ilten
Jacques Jacobs: Existenz und Untergang der alten Judengemeinde der Stadt Trier. Trier 1984, S. 149
Martin Junk: Jüdinnen und Juden in Trier. Auszug aus der Gesamtdatenbank „Zwangsarbeitende und Jüdinnen/Juden“ des Stadtarchivs Trier. Unredigierter Stand der Datenbank 31.05.2001. Erstellt von Martin Junk. Stadtbibliothek Trier (= Ausdruck), Nr. 2402
Willi Körtels: Materialien zur Geschichte der Juden aus Wawern. Konz 2013 (Internetquelle, gelesen 25.08.2015), S. 25.
Raimund Reiter: „Psychiatrie im Dritten Reich in „Niedersachen.“ Begleitmaterial zur Wanderausstellung. (Internetquelle). Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. 3. Auflage Hannover 2005 (Internetquelle: http://www.r-reiter.de), Seite 7 u. 14 (Belegzahlen und Sterberaten)
Roland Ries: Die organisierte Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Mordaktionen des Euthanasie-Programms 1939-1945 im Bistum Trier. In: Neues Trierisches Jahrbuch 46 (2006), S. 81-94
Stadtarchiv Trier. Redaktion Dr. Reiner Nolden: Trier vergisst nicht. Gedenkbuch für die Juden aus Trier und dem Trierer Land. Trier 2010