Mathias Masselter

Geburtsdatum: 1.5.1894 Rittersdorf
Sterbedatum: 07.05.1941 Hadamar
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 18. März 2013

Stolperstein Mathias Masselter, Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7, Verlegt 18.03.2013

Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7. Verlegt 18. März 2013

Die Identifizierung von Mathias Masselter als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Johann Maes achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Martini, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.

Anhand der Patientenakte im Landeshauptarchiv ergaben sich die weiteren Angaben zur Biografie von Mathias Masselter und seinem Verfolgungsschicksal. Er wurde am 1. Mai 1894 in Rittersdorf geboren, wo er bis zuletzt in Miete wohnte. Er war nicht verheiratet und arbeitete als Lagerarbeiter. Seine Eltern waren Maria Masselter und die mit ihm katholisch verheiratete Maria geb. Leise. Nach einem Tobsuchtsanfall wurde er von dort Rittersdorf mit einem Polizeiwagen am 23.12.1936 nach Trier in die Heil- und Pfleganstalt des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder eingewiesen.

Der bei Aufnahme diensthabende Anstaltsarzt, Dr. Wilhelm Tieke, protokollierte in seinem Aufnahmebericht allein aufgrund von mündlichen Befragungen (siehe weiter unten) eine erste Krankheits-Anamnese: Mathias Masselter leide seit seinem 14. Lebensjahr an epileptischen Anfällen. Seine erste stationäre psychiatrische Behandlung in Trier erfolgte im Jahr 1930. Ein noch früherer stationärer Aufenthalt im selben Krankenhaus datierte 1911 im Zusammenhang einer unfallbedingten Schädeloperation. Die damals von Dr. Lucas (Herrmann Lucas, geb. 28.4.1870 in Erkelenz, Archiv Schnitzler) an ihm durchgeführte „Schädelpenetration“ hatte eine sichtbare Narbe am Hinterkopf hinterlassen. Eine gesicherte Krankheitsdiagnose, etwa in Bezug auf die Erblichkeit des Epilepsiebefundes, war allein aufgrund der mündlichen Befragungen, die Dr. Tiecke durchgeführt hatte nicht möglich. In dem Aufnahmeprotokoll hatte er an entsprechender Stelle den Personenkreis angegeben von denen er diese Infos bezogen hatte: „Von der Hauswirtin, bei der M. lange Jahre sich befindet, teils von M. selbst, teils vom Unterzeichner.“ Weitere Untersuchungen wären, schrieb Tiecke abschließend (siehe Dokumentation) aufgrund der „erheblichen motorischen Unruhe“ des Patienten „zur Zeit nicht möglich.“

Trotz Fehlens eines eindeutigen Erbkrankheitsbefundes stellte Dr. Faas, der genannte Leiter der Psychiatrieabteilung bereits am 8. Januar 1938, also nur zwei Wochen nach der Anstaltsaufnahme, beim Erbgesundheitsgericht in Trier gegen Masselter Anzeige wegen Verdachts auf genuine „Fallsucht“ (Epilepsie). Abermals erwies sich der als Widerständler von ehemaligen Kollegen posthum angepriesene Nervenarzt (siehe die Darstellung u.a. der Krankenmordbiografie von Mathias Koch bzw. die Biografie von Theodor de Lasalle von Louisenthal) als williger Zuarbeiter der nationalsozialistischen Eugenik-Programms. Der dokumentierte Ablauf dieses schließlich erfolglosen Zwangssterilisationsverfahrens belegt dies eindeutig. Der auf Station liegende Masselter meldete fristgerecht noch während des laufenden Verfahrens seinen Widerspruch an, wobei er den Erblichkeitsbefund seines Anstaltsleiters bestritt mit dem Hinweis auf die seinen Anfällen vorausgegangenen Unfälle. Als das Erbgesundheitsgericht Trier daraufhin bei der Universitätsklinik Bonn ein Zweitgutachten bei dem dortigen Spezialisten beantragte, erneuerte Faas am 8.März 1938 seinen früheren Befund. In seinem Gutachten bezog er sich, ohne weitere Untersuchungen an Masselter durchgeführt zu haben, abermals auf das erste Aufnahmegutachten seines Kollegen Dr. Tieck:

„Aus diesem diesen geht klar und deutlich hervor, dass es sich bei Masselter um eine genuine, also erbliche Fallsucht handelt….Von einem Unfall ist wirklich nichts bekannt.“

Der mit diesem Zweitgutachten beauftragte Gutachter war der an der Universitätsklinik Bonn als HNO-Spezialist ausgewiesene und beim Erbgesundheits-Obergericht in Köln als Gutachter tätige Professor Dr. Florin Laubenthaler (Forsbach 2005, S. 206-208 u. 584ff.) Am 22.12.1937 erstellte er dann das nachfolgend zitierte Gutachten, aufgrund dessen das Erbgesundheitsverfahren gegen Masselter eingestellt wurde. In seiner Argumentation verwies der Gutachter nicht nur auf die nicht auszuschließende, andererseits aber nicht gesicherte genuine Natur der Epilepsie Masselters. Für entscheidungsrelevant erachtete er schließlich denselben Einwand, der von Faas und den Kollegen des Erbgesundheitsgerichts Trier in dem Verfahren gegen Matthias Koch als unerheblich zurückgewiesen worden war. Nämlich, dass bei dem angezeigten Patienten sich eine Zwangssterilisation erübrige, da aufgrund seines Zustandes und seiner Pflegesituation jegliche sexuelle Aktivitäten von ihm nicht zu erwarten wären. Unter Bezugnahme auf die laut seinem Kranheittsblatt 1911 an dem Patienten Mathias Masselter vorgenommene

„Schädeltrepanation“ bleibt…..eine traumatische Hirnschädigung als Ursache der Anfälle im Bereich der Möglichkeit, wenn man die Angaben des Vaters……und des Patienten selbst als objektive Grundlage bewertet. Nach dem Verlauf des Leidens und der Art der psychischen Veränderung spricht eine größere Wahrscheinlichkeit für genuine Natur des Leidens. Auf der anderen Seite bleibt zu bedenken, ob eine Unfruchtbarmachung des M. überhaupt überflüssig ist, wenn man die Diagnose einer erblichen Fallsucht als gesichert ansehen kann. M. ist jetzt 43 Jahre alt. Er hat, wie er glaubhaft versichert, keinen Geschlechtsverkehr. Er ist psychisch ganz erheblich verändert und wird, so wie der Befund jetzt zu erheben ist, in absehbarer Zeit nicht aus einer Anstalt entlassen werden.“

Am 15. August 1939 wurde Matthias Masselter mit dem erwähnten Räumungstransport in die „Zwischenanstalt“ Andernach verlegt. Nach Beginn der Krankenmord-Aktion „T 4“ wurde er am 7.5.1941 mit einem Verlegungstransport der „Gemeinnützigen Krankentransport“ in die Tötungsanstalt Hadamar „überführt“ und gleich nach der Ankunft ermordet. In der am 28.5.1941 beim Sonderstandesamt erstellten Sterbeurkunde notierte der als Justizbeamter tätige Pfleger Karl Götz die zur Mordverschleierung gefälschte Sterbeursachen „Hirnarteriosklerose, Allgemeiner körperlicher Abbau, Marasmus.“
 

Dokumentation der Krankengeschichte von Mathias Masselter Patientenakte (Auszüge)

23.12.1936      Aufnahme-Gutachten (Trier) durch Dr. Wilhlem Tieke: Patient wurde, als er lärmend und predigend auf der Straße umherlief, durch die Polizei aufgegriffen und in die Heil- und Pflegeanstalt eingeliefert. Am Einlieferungstage stand M. morgens früh auf, lief plötzlich im Hause umher, fing an zu predigen, redete völlig durcheinander, sprach vom Geiste Gottes, der ihm in den Kopf gefahren sei, vom Engel Gottes u.a.m. Zur Ruhe angehalten, wurde er noch lebhafter, lief auf die Straße und verursachte einen Volksauflauf. Die Polizei lieferte ihn morgens gegen 6 Uhr 30 in die Heil- und Pflegeanstalt der Barmherzigen Brüder ein. …
Befindet sich in erheblicher motorischer Unruhe, läuft planlos hin und her, gestikuliert mit den Händen und grimassiert, hält Ansprachen und Predigten, überaus lautes und störendes Verhalten. Sensorium gedrückt, befindet sich in einem Dämmerzustand…. Sonstige Untersuchungen bei der Unruhe zur Zeit nicht möglich.

 
08.1.1937 Anzeige von Anstaltsleiter Dr. Faas auf Erbkranheitsverdacht beim Erbgesundheitsgericht Trier. Nach Einspruch des Patienten Masselter o.D. Erbgesundheitsgericht Trier beantragt Zweitgutachten bei der Universitätsklinik in Bonn
 
10.3.1938 Anstaltsleiter Dr. Faas bestätigt seinen Erbkrankheitsbefund mit Schreiben an die Universität Bonn (Zitiert oben)
 
22.12.1937 Ablehnung des Zwangssterilisationsantrages durch den Zweitgutachter Prof. Laubenthaler in Bonn (siehe Text oben)
 
15.8.1939 verlegt nach Andernach
 
7.5.1941 „überführt“ nach Hadamar. Laut Sterbeurkunde des Sonderstandesamts (28.5.1941 ausgestellt durch Pfleger/Justizbeamten Karl Görg) verstorben an Hirnarteriosklerose, allgemeiner körperlicher Abbau (Marasmus)
 

Quellen

Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z

Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 512, 22 Nr. 471 Erbgesundheitssache betr. Matthias Masselter

Privatarchiv Thomas Schnitzler: Geburtsdatum Dr. Hermann Lucas

Literatur

Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998

Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Bonn 2006

Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108

125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001

Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Bonn 2006

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