Matthias Dietz

Geburtsdatum: 18.01.1894 Kordel, kath.
Sterbedatum: 03.11.1964 Ebernach an der Mosel
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 08.09.2016

Stolperstein Matthias Dietz, Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7, Verlegt 08.09.2016
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 08.09.2016

Am 11. September 1939 saß Matthias Dietz in jenem Autobus, der als letzter von insgesamt 5 Sammeltransporten die Räumung der vordem mit 500 Patienten belegten Psychiatrie-Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder vollendete. Die bisher einzige Darstellung über diesen aus der Peter-Friedhofen-Straße abgehenden Sammeltransport (Ries 2006) benannte ohne weitere Angaben lediglich das Ziel: die Pflegeanstalt der Franziskanerbrüder im Kloster Ebernach (Mosel). Wie viele Patienten diesen Bus bestiegen, wie sie hießen und welches Schicksal sie erlitten, solche naheliegenden Fragen ließ der Autor unbeantwortet. Zur Beantwortung hätte eine einfache Anfrage bei dem Ordensarchiv der Franziskaner genügt. Auf seine diesbezügliche Anfrage erhielt der Autor 2012 durch eine freundliche Mitteilung des leitenden Archivars, Herrn Bruder Josef Kopp, Kenntnis von dem aus den fraglichen Jahren in der Klosteranstalt geführten Aufnahmebuch.

Unter dem erwähnten Transportdatum verzeichnete das Aufnahmebuch des Jahres 1939, schrieb der Archivar in seiner ersten Antwort, die Namen von mindestens 50 gleichen Datums aus Trier angekommenen Psychiatriepatienten; und zwar einschließlich ihrer Geburts- und Berufsangaben und jeweiligen Krankheitsdiagnosen. Aufgeführt war unter anderen der „Arbeiter Matthias Dietz, geboren am 18. Januar 1894 in Kordel“, verheiratet, katholischer Konfession und anstaltsverwahrt wegen „Schizophrenie.“ Der Archivar informierte alsdann in einer weiteren Mail über die großen Sammeltransporte, die in der ersten Maiwoche des Jahres 1943 mit 200 Geisteskranke nach dem eingangs erwähnten Kulparkow abgingen. In einem der Busse des 3. Mai 1943 saß wiederum Matthias Dietz.

Kulparkow befand sich im polnischen Besatzungsgebiet nahe der Stadt Lwów/Lemberg. In der dortigen „Landes-Irrenanstalt“ erreichten die Sterbequoten noch extremere Werte als in den Anstalten im alten Reichsgebiet. „Die Patienten kamen infolge des Hungers und Ansteckungskrankheiten massenhaft ums Leben“, von Juli bis Mai 1942 1179 Kranke (Jordan 2010). Von den insgesamt 250 Kranken, die in den Monaten April bis Mai 1943 aus dem Rheinland nach Kulparkow verlegt worden waren, starben „etwa die Hälfte“ (Fiebrand 2014, S. 263).

Matthias Dietz war einer der Überlebenden. Das Ordensarchiv in Ebernach besitzt von ihm eine Patientenakte, die bei seiner Wiederaufnahme am 24.11.1952 angelegt wurde. Die hier auszugsweise zitierten Passagen verraten näheres über sein Leben und Überleben. Demnach war Matthias Dietz gelernter Holzschneider. Als Soldat kehrte er aus dem Ersten Weltkrieg schwer verletzt heim nach Granatsplittereinschüssen an den Armen, Beinen und an der Lunge. Wegen dem erwähnten Krankheitsbefund lebte er als anstaltsbedürftiger Pflegepatient bereits Trier in anderen Pflegeanstalten vor seiner nicht datierten Einweisung bei den Barmherzigen Brüdern. Nach seiner Rückkehr aus Polen diagnostizierten die Psychiater der Landesklinik Andernach bei Matthias Dietz den unveränderten Krankheitsbefund „Schizophrenie“, also seine weitere Betreuungsbedürftigkeit. Bei den Franziskanern in Ebernach arbeitete er noch fast zwölf Jahre bis kurz vor seinem Tod – laut Patientenakte allerdings mit der Einschränkung „zeitweise“ – in der „Gemüseküche“ und in der „Kartoffelschälerei.“ Die Akte belegt auch fortbestehende Kontakte zu seiner Familie mit der Notiz über „einen Besuch von seinem Bruder und seinem Schwager“.

Von daher, besonders aber wegen dem 1939 in der Patientenakte von Matthias Dietz notierten Vermerk über seinen Ehestatus stellten sich weitere Fragen: Wer war seine Ehefrau? Hatten sie Kinder, und gäbe es etwa von diesen oder anderen Angehörigen noch mehr Wissenswertes über Matthias Dietz zu erfahren? Durch Vermittlung des Kordeler Heimatforschers Richard Schaffner ergab sich die Möglichkeit zur Kontaktierung eines Enkels. Dieser erinnerte sich daran, als Kind einmal ein Porträtfoto gesehen zu haben. Es befand sich in dem Wehrpass seines Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg. Das Foto aber und weitere persönliche Hinterlassenschaften sind nicht mehr auffindbar. Der Enkel erinnerte sich nicht mehr an die Beerdigung seines Großvaters vom 7. November 1964 auf dem Kordeler Friedhof und ebenso nicht mehr an den vier Tage zuvor datieren Sterbetag.
 

Dokumentation der Krankengeschichte von Matthias Dietz anhand seiner Patientenakte (Auszüge)

24. November 1952: Zur Vorgeschichte gibt der Kranke an, die Eltern seien tot, seine Frau lebe in Kordel; er sei in Kordel als Kellereiarbeiter tätig gewesen. In der Schule sei er mitgekommen, das Zeugnis sei aber schlecht gewesen. Er habe Holzschneiderei gelernt. Soldat sei er von 1914-18 gewesen. Mit Granatwerfer seien ihm „Arme und Beine abgeschossen“, auch die Lunge sei ihm „durchschossen und durchstochen“ worden.

Psychischer Befund: Zerfahren, seine Angaben sind völlig unzuverlässig; die Sprache ist kaum zu verstehen. Er führt dauernd Selbstgespräche, und eine Verständigung mit ihm ist nicht möglich. Er gibt an, mit der Frau habe er Streit und höre dauernd ihre Stimme im linken Ohr; es ginge um das Vermögen, was die Frau haben wollte. Nach seinem Alter gefragt, gibt er an 52 Jahre. Als ihm gesagt wird, er sei doch 58 Jahre alt, sagt er, dann sei er 5 Jahre tot gewesen. Diagnose: Schizophrenie:“….“ Es handelt sich bei ihm um einen dementen, stark eingeengten Schizophrenen, der unter dem Einfluss von Sinnestäuschungen steht. Er wurde hier mit Hausarbeiten beschäftigt. Er ist in seinen Arbeiten fleißig, bedarf jedoch dauernder Anleitung und Überwachung, da er affektiv weitgehend abgestumpft ist. Körperlich und neurologisch besteht kein krankhafter Befund.“
 

03. November 1964 (letzte Eintragung):      „Verfiel in den letzten Tagen immer mehr, musste gefüttert werden, war überhaupt nicht mehr ansprechbar und starb heute Nachmittag um 14 Uhr. Todesursache: Magenkrebs, Marasmus, Kreislaufschwäche, Schizophrenie. Leiche wurde nach Kordel überführt.!“
 

Quellen

Archiv Kloster des Franziskanerordens Ebernach (Mosel): Patientenakte (Mail-Mitteilung von Bruder Josef Kopp vom Dezember 2012 (14. u. 21) und Januar 2013 (21.-22.); Krankentransportliste 4. Mai 1943 Kulparkow

Richard Schaffner (Kordel, Heimatforscher): Genealogische Daten zur Familie Dietz (Mail) vom 17. Januar 2013 – Anton Hein aus Kordel Liste Kulparkow fragen

Paul-Josef K. (Enkel v. Matthias Dietz) Telefonat vom 29. Januar 2013
 

Literatur

Maria Fiebrandt: Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitsppolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939-1945. Göttingen 2014

Ludwig Hermeler: Die Euthanasie und die späte Unschuld der Psychiater. Massenmord, Bedburg-Hau und das Geheimnis rheinischer Widerstandslegenden. . Essen 2002 (=Dokumente und Darstellungen zur Geschichte der rheinischen Provinzialverwaltung und des Landschaftsverbandes Rheinland. Bd. 14)

Andreas Jordan: Die Vernichtung der Geisteskranken in Polen 1939-1945. In: Gelsenzentrum. Portal für Stadt- und Zeitgeschichte (Internetquelle 2010)

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