Matthias Jakobs
Geburtsdatum: 11.9.1890 Fastrau
Sterbedatum: 14. März 1943 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-St. 7. Verlegt 18. November 2012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18.11.2012
Die Identifizierung von Matthias Jakobs als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Matthias Jakobs achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.
Bei den weiteren Biografie-Forschungen kooperierte die am Max-Planck-Gymnasium im Schuljahr 2012 von Frau Gesche Klein-Menke betreute Stolperstein-Projektklasse. Am Tage der Stolpersteinverlegung präsentierten Kenny Schmitz, die Gebrüder Lukas und Jan Petry zusammen mit Laura Mattes unter anderem einen Vortrag über das Verfolgungsschicksal von Matthias Jakobs. Bei der Vorbereitung hatten sie Kopien seiner Patientenakte eingesehen. Durch Kontaktierung eines Opferangehörigen in Fell, Herrn Alois Jakobs, konnte hierbei auch ein bisher nicht veröffentlichtes Porträtfoto gezeigt werden. Die nachfolgende Darstellung wurde der veröffentlichten Fassung des erwähnten Schülervortrages entnommen (siehe Klein-Menke 2012/2013):
„Matthias Jakobs wurde am 11. September 1890 in Fastrau bei Fell geboren. Von Beruf war er Landwirt. Im Ersten Weltkrieg diente Matthias Jakobs wie so viele seinem Vaterland als Soldat. Auch nach dem Krieg führte er ein ganz normales Leben. Am 10. Mai 1921 heiratete er Katharina Reiter in Longuich, mit der er insgesamt 6 Kinder zeugte. Der Erstgeborene, Wilhelm, erblickte am 16. Mai 1922 das Licht der Welt. Es folgten Peter im Jahre 1923, Alois 1924, Theresia 1927, Karl 1928 und die jüngste, Monika, im Jahr 1932. Im selben Jahr wurde Matthias Jakobs dann aufgrund seines Magenleidens zum Frührentner und konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben. Der letzte vermerkte Wohnort ist Fastrau, Haus Nr. 13,
Abb. 2 Personalakte Matthias Jakobs
Abb. 3 Porträtfoto um 1918
Am 21. Juli 1937 wird Matthias Jakobs in die psychiatrische Abteilung des Brüderkrankenhauses eingewiesen. Die Einweisung erfolgt auf Veranlassung von Dr. Dreesen in Trier, die Diagnose lautet Schizophrenie. Angeblich halluziniert der Patient.
Während des Aufenthalts im Krankenhaus hatten die Familienangehörigen recht engen Kontakt. Listen des Krankenhauses dokumentieren im Zeitraum vom 12. August 1937 bis zum 15. Mai 1938 Besuche von seiner Frau und seinem Neffen Nikolaus, seinem Schwager und wahrscheinlich auch von seinen eigenen Kindern. Dass die Beziehung zu den Angehörigen keineswegs ganz entfremdet war, zeigt zudem ein Antrag der Ehefrau Katharina vom 20. April 1938, in dem sie um einen Besuchstermin bei ihrem Mann und um dessen Entlassung bittet. In ihrer Begründung schreibt sie: „Die Kinder lassen mir keine Ruhe, bis sie wissen, dass ihr Vater eingeladen ist.“
Ein ganz anderer Antrag wird am 26. Juli 1937 gestellt. Durch das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder wird die Prüfung der geplanten Zwangssterilisation des Patienten durch das Erbgesundheitsgericht in der Bollwerkstraße in Trier angefordert. Es folgt ein Einspruch, doch am 4. Juli 1938 wird die Beschlussfassung des Gerichts durch die übergeordnete Instanz in Köln (Erbgesundheitsobergericht, T.S.) bestätigt: Matthias Jakobs soll unfruchtbar gemacht werden, die ausschlaggebende Diagnose lautet: Schizophrenie.
Der Eingriff soll am 27. Juli 1938 vorgenommen werden, in der Krankenakte wird notiert:
„Patient heute nach Entscheidung des Erbgesundheitsgerichts in Köln in das Evangelische Krankenhaus gebracht zwecks Durchführung der Unfruchtbarmachung. Macht keine Schwierigkeiten.“
Der Eingriff erfolgte stationär, wie aus der Abrechnung vom 02. September 1938 hervorgeht, bleibt Jakobs vom 26.07. bis zum 15.08. im Evangelischen Krankenhaus in Trier. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf rund 110 Reichsmark, darin inbegriffen sind die Arztpauschale, der stationäre Aufenthalt und „Krankenhaus Mehrkosten“. Der Eingriff geht nicht ohne Spuren an Jakobs vorüber: unmittelbar nach der Operation ist er stark abgemagert. Bei einer Größe von 1,67 m bringt er nur noch ein Gewicht von 55,6 Kilogramm auf die Waage. Die Familie stellt einen Antrag auf Urlaub. Sie wünscht, dass Jakobs seinen 48. Geburtstag im Kreise seiner Angehörigen verbringen darf. Dem Antrag wird stattgegeben, dem Wunsch der Familie dennoch nicht entsprochen. Der Patient tritt seinen Familienbesuch erst einen Tag nach seinem Geburtstag, am 12. September 1938, an. Ganze fünf Tage darf er der Klinik fernbleiben.
Am 15. August 1939 sitzt Matthias Jakobs mit weiteren Patienten in einem Bus. Mit ihnen muss er die Reise in die Heil- und Pflegeanstalt Andernach antreten, die seine letzte Reise sein soll. Seine Ehefrau bemüht sich auch weiterhin um Kontakt. Sie fragt bei der Anstalt nach, ob ihr Mann sich dort befinde. Eine detaillierte Information der Angehörigen über die Verlegung des Kranken scheint es demnach nicht gegeben zu haben. Der Sohn sucht die Anstalt auf, bittet um Entlassung des Vaters, von dem sie seit der Verlegung kein Lebenszeichen mehr erhalten haben.
Matthias Jakobs stirbt am 14. März 1943 um 21 Uhr 30 in Andernach. Die Sterbeursachen lauten:
a)Schizophrenie
b)zunehmender körperlicher Verfall bei chronischer Geisteskrankheit
c)Marasmus.
Als Marasmus bezeichnet man einen Proteinmangel, der zum Abbau aller Energie- und Eiweißreserven führt. Er ist ein deutliches Zeichen für eine Mangel- oder Unterernährung.
Am 15. März um 19.25 Uhr wird die Familie telefonisch über den Tod informiert. Am Telefon, so wird vermerkt, ist Karl Jakobs. Höchstwahrscheinlich teilte man einem 10jährigen Kind fernmündlich mit, dass sein Vater gerade verstorben sei.
Ein weiterer Vermerk gibt Auskunft, dass „die Leichenüberführung 200 Reichsmark kostet.“ Am folgenden Tag erhält die Familie ein Telegramm, das sie von dem Leichentransport von Andernach nach Fell in Kenntnis setzt. Am 24. März folgt dann schließlich eine schriftliche Sterbemitteilung von Dr. Kreisch aus Andernach an die Witwe Jakobs. Damit enden die Aufzeichnungen in der Patientenakte.
Abb. 4 Frau Jakobs: Briefliche Bitte um Besuchserlaubnis für ihren Ehemann anlässlich Kommunions-Feier (Schreiben 10.4.1938)
Abb. 5 Antwort der Heil- und Pflegeanstalt Trier an Frau Jakobs (21.4.1938)
Abb. 6 Abrechnung der Zwangssterilisation v. 26. Juli 1938 an M. Jakobs
Abb. 7 Totenschein v. Matthias Jakobs. Sonderstandesamt Andernach.
Quellen
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. Nr. 4301 Patientenakte Matthias Jakobs
Familie Alois Jakobs (Fell): um 1917 aufgenommenes Porträtfoto von Matthias Jakobs
Literatur
Heinz Faulstich: : Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998
Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108
125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001
Gesche Klein-Menke: Den Opfern ihre Namen zurückgeben. In: Max-Planck-Gymnasium Trier: Jahrbuch 2012/2013, S. 162-163