Oskar Laloire
Geburtsdatum: 17.04.1890 Malmedy
Sterbedatum: 4. August 1940 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Straße, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (Eingangstor), verlegt 18. November 2012
Abb. 1 Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. Nov. 2012
Die Identifizierung von Oskar Laloire als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Oskar Laloire achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Müller, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.
Bei den weiteren Biografie-Forschungen kooperierte die am Max-Planck-Gymnasium im Schuljahr 2012 von Frau Gesche Klein-Menke betreute Stolperstein-Projektklasse. Laut seiner Krankenakte war Oskar Laloire von Beruf Kaufmann, katholischer Konfession und verheiratet mit Gertrud Laloire geb. Weiss, die aus dem thüringischen Greiz stammte. Bei unseren Recherchen waren keine Angehörigen zu ermitteln weder von der genannten Ehefrau noch dem Bruder „Ernst Laloire“, der damals in Malmedy, Taligerweg 6 wohnte.
Die Einweisung in die Psychiatrieabteilung des Brüderkrankenhauses in Trier datierte am 7. Oktober 1933. Der Einweisungsbefund diagnostizierte unter der Bezeichnung „genuiner Epilepsie“ (erbliche Fallsucht) eine der Erbkrankheiten, deren kontrollierende und schließlich „ausmerzende“ Bekämpfung das NS-Regime ab 1934 nach den Maßgaben der Erbgesundheitsgesetzgebung anstrebte. Oskar Laloire wurde unter dem Pflegestatus „Selbstzahler“ eingestuft, die Kosten über seine Ehefrau abgewickelt. Aber weder von ihr noch dem genannten Bruder ist ein Krankenbesuch protokolliert, und auch keine einzige Briefkorrespondenz. Das einzige Schreiben des genannten Bruders datierte posthum am 14. August 1940. In demselben übermittelt dieser die Geburtsurkunde des Verstorbenen an die Anstaltsleitung in Andernach. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Krankenakte von denen vorgenannten etwa die von Baden, Besslich, Hemgesberg, Koch und Maes. Möglicherweise waren die familiären Verhältnisse bei Oskar Laloire bereits vor der Anstaltseinweisung so nachhaltig zerrüttet, dass von dieser Seite für ihn keinerlei Hilfeversuche mehr angestellt wurden.
Abb. 2 Krankenakte von Oskar Laloire: Blatt 1 (7.10.1933)
Zur Feststellung ihres Erblichkeitsbefundes über Oskar Laloire genügte den Anstaltsärzten seine mündliche Befragung bei der Aufnahmeuntersuchung vom 7. Oktober 1933. „Der erste epileptische Anfall soll im Jahre 1924 aufgetreten sein. Dann wurde der 2te Anfall erst nach einem Jahre bemerkt.“ Wegen der ab 1938 in kürzeren Zeitabständen vorkommenden Krampfanfälle sahen die Ärzte „die epileptische Natur seines Leidens“ bestätigt. Statt Therapien wurden Oskar Laloire ausschließlich symptomkurierende Medikamente, nämlich Vergaben von „Luminal“ und „Lubrokal“, verordnet. Wie bei allen Anstaltspatienten wurde über seine praktische Verwendbarkeit im Anstaltsalltag exakt Buch geführt. Am 1. April 1934 wurde „er unter Aufsicht in der Kanzlei mit mechanischen Arbeiten beschäftigt“ und mit der Ordnung von Krankenakten. An manchen Tagen wie diesem erledigte er für andere Patienten Einkäufe, bei denen er aber angeblich „kleinere Beträge veruntreute.“
Nach seinem Abtransport aus Trier lebte er in der „Zwischenanstalt“ Andernach unter den beschriebenen pflegemedizinisch unzumutbaren Zuständen (Hungrkost u.a., siehe oben) nur mehr ein knappes Jahr. Die ihm für den 5. August 1940 mit der angeblichen „Exitus“ um 19 Uhr Abends im Sonderstandesamt ausgestellte Sterbeurkunde verschleierte den anzunehmenden Krankenmord mit den Falschangaben „Schwerer Anfall exitus letalis.“
Dokumentation der Krankengeschichte von Oskar Laloire anhand seiner Patientenakte (Auszüge)
7.10.1933 | Trier (Psychiatrie) Barmherzige Brüder wegen genuiner Epilepsi Anamnese bei Aufnahme: Der erste epileptische Anfall soll im Jahre 1924 aufgetreten sein. Dan wurde der 2te Anfall erst nach einem Jahre bemerkt. Bis zu 14 Tagen kein Anfall, dann wieder mehrere bis zu 3-4 an einem Tage. |
18.8.1936: | In mehrwöchigen Abständen auftretende von Krampfanfällen. Zieht sich dabei regelmäßig durch Hinfallen mehr minder schwere Verletzungen zu….Hütet mehrere Tage das Bett. Psychisch in letzter Zeit sehr hastiges und aufgeregtes Wesen. Zeitweise total verwirrt. |
1.10.1937: | Unter regelmäßiger Einnahme von 1,0 Luminal + Tabl. Lubrokal sind längere Zeit keine Anfälle mehr aufgetreten….Befindet sich auf Abteilung 2. |
1.4.1938 | Im Befinden hat sich nichts Wesentliches geändert. Bei dem Kranken kommt immer mehr die epileptische Natur seines Leidens zum Vorschein. Er wird verlegen, veruntreut kleinere Beträge, für die er einkaufen soll für andere Kranke Die Anfälle kommen serienweise und sind sehr schwerer Natur. Im Anschluss an die Anfälle kommen länger andauernde Zustände von Verwirrtheit, in denen er durcheinander spricht, kopflos herumläuft, sich nicht auskennt. Er wird unter Aufsicht in der Kanzlei mit mechanischen Arbeiten beschäftigt, ordnet Krankenakten an, schreibt Adressen etc. |
21.4.1939 | Ohne Änderung…. Anfälle sind längere Zeit nicht mehr bemerkt worden. An manchen Tagen etwas schwerfällig, arbeitsunlustig, klagt Kopfschmerzen. |
15.8.1939 | nach Andernach überführt |
4.8.1940 | Bekam heute einen schweren Anfall….Exitus letalis Klinische Diagnose: Genuine Epilepsie. |
Abb. 3 Krankenakte (Trier): „Krankenverlauf 1936-1938“
Abb. 4 Kleiderzettel bei Aufnahme in Andernach 16.8.1938
Abb. 5 Krankenakte (Andernach): letztes Blatt
Korrigenda
Auf dem Stolperstein wurde der Sterbetag aufgrund eines Datenübertragungsfehlers mit 14. statt 4. August 1940 angegeben.
Quellen
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z
Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 4600 Patientenakte Oskar Laloire
Literatur
Heinz Faulstich: : Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998
Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108
125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001
Gesche Klein-Menke: Den Opfern ihre Namen zurückgeben. In: Max-Planck-Gymnasium Trier: Jahrbuch 2012/2013, S. 162-163