Peter Müller

Geburtsdatum: 19.05.1905 Trier
Sterbedatum: 21. September 1939 Andernach
Stolperstein: Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. November 2012

Stolperstein Peter Müller, Trier, Peter-Friedhofen-Straße 7, verlegt 18.11. 2012
Abb. 1 Trier, Peter-Friedhofen-Str. 7. Verlegt 18. November 2012

Peter Müller: Einweisungsattest von Dr. Katthagen 11.6.1931, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 2 11.6.1931 Einweisungsattest von Dr. Katthagen

12.6.1931 Aufnahme-Aktenvermerk der  Heil- und Pflegeanstalt Trier, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 3 12.6.1931 Aufnahme-Aktenvermerk Heil- und Pflegeanstalt Trier

15.06.1931 Kreisärztliches Gutachten von Dr. Ewertz, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 4 15.06.1931 Kreisärztliches Gutachten

Die Identifizierung von Peter Müller als Psychiatriepatient basierte auf einer im Landeshauptarchiv Koblenz ausgewerteten Krankentransportliste des Datums 15. August 1939. An diesem Tag fuhr ein Autobus von dem Trierer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder einen Sammeltransport mit Patienten ihrer Psychiatrieabteilung nach Andernach in die dortige Heil- und Pflegeanstalt. In dem mit mindestens 70 Personen vollbesetzten Autobus saßen hinter milchverglasten Scheiben außer Peter Müller achtzehn weitere Kranke, deren Schicksal durch das bisherige Gedenkprojekt bekannt wurde (Nachnamen wie folgt): Baden, Becker, Besslich, Hemgesberg, Hoffmann, Jakobs, Koch, Koster, Laloire, Maes, Martini, Masselter, Meyer, Mischo, Stadtfeld, Valentin, Wetzstein und Zender.

Anhand der Patientenakte im Landeshauptarchiv ergaben sich die weiteren Angaben zur Biografie von Peter Müller. Am 19. Mai 1905 wurde er in Trier als Sohn der Anna Müller (geb. Kauth) geboren, die 1939 im Stadtteil Trier-Süd „Auf der Acht“ (Straßenname) das Haus Nr. 3 bewohnte. Über den namentlich nicht erwähnten Vater ist lediglich sein Tod infolge Tuberkulose vermerkt. Über Müllers berufliche Tätigkeit finden sich die Angaben „Arbeiter“ bzw. „Anstreicher.“ 1939 wohnte er im Stadtteil Trier Süd in der Kapellenstraße, Haus Nr. 41.

.Wie bei den meisten Psychiatriepatienten wurden an Müller gezielte Heiltherapien nicht durchgeführt. Es finden sich in seiner Krankenakte keinerlei diesbezügliche Angaben, sehr wohl aber über seine Einsatz und seine Verwendbarkeit in dem alltäglichen Anstaltsbetrieb. Anfangs arbeitet Müller noch in der Kartoffelküche (Dokumentation 7.6.1933), war alsbald aber angeblich „zu keiner Arbeit“ mehr „zu gebrauchen.“ (14.6.1938, siehe auch 14.12.1938) Müllers primäre Taxierung unter arbeitsökonomischen Gesichtspunkten richtete sich auf sein Aussehen und sein Verhalten insgesamt, auch in der Freizeit. Diesbezügliche Eintragungen werten ihn ab als unproduktiv, schlecht orientiert, müde und kraftlos: „steht in seiner Freizeit meist gedrückt in schlaffer Haltung in irgend einer Ecke. Spricht kaum…“ (7.7.1933)

16.8.1938  Kleiderzettel für Peter Müller Heil- u. Pflegeanstalt Andernach, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 5 16.8.1938 Heil- u. Pflegeanstalt Andernach: Kleiderzettel

„Krankheitsverlauf“ 1939 mit Sterbevermerk, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 6 „Krankheitsverlauf“ 1939 mit Sterbedatum 21. September

Nach seiner Verlegung in die „Zwischenanstalt“ Andernach lebte Müller, ein Mann von gerade 34 Jahren, nur noch fünf Wochen. Er war einer der ersten Opfer systematischer Unterversorgung (siehe auch die vergleichbaren Patientenschicksalse i.d. Biografiedarstellungen von Baden, Becker, Besslich, Lassalle de LvL, Meyer, Wetzstein und Zender). Laut Eintragung in der Krankenakte starb Peter Müller am 21. September 1939. Das Sonderstandesamt Andernach aber beurkundete ein abweichendes Sterbedatum, nämlich den 20. September 1939, also einen Tag früher. Auf dem üblichen vorgedruckten Formular-Vordruck war – zum Zwecke der Verschleierung – eine Auswahl Todesursachen zum Zwecke der Verschleierung angegeben:

„Spaltirresein, Marasmus, Bronchialpneumonie, Kreislaufschwäche..“

Die unter anderen angegebene Todesursache „Marasmus“ („Unterernährung“) erscheint auf den ersten Blick korrekt in Verbindung mit dem Eintrag des Sterbetages: „in den letzten vierzehn Tagen körperlich rapide zurückgegangen, bereitet seit einigen Tagen auch Schwierigkeiten in der Nahrungsaufnahme“. Tatsächlich aber verschleiern beide Angaben das von Medizinhistorikern als gezielte Tötungsstrategie nachgewiesene „Hungersterben.“ (Faulstich 1998). Bei diesem starben die Psychiatriepatienten nicht etwa an verweigerter Nahrungsaufnahme, sondern nach willentlicher Essenzufuhr an den extrem nährstoff- und kalorienarmen Speiserationen, deren spezielle Rezeptur die Eugenik-Spezialisten zur gezielten Beschleunigung dieser heimlichen Patienten-Mordstrategie entwickelt hatten. Dieses also heimlich arrangierte „Hungersterben“ bewirkte bereits den gleichen Zweck wie bei der „Aktion T 4“: den kollektiv organisierten Krankenmord. Das Hungersterben ging allerdings mit einem Kräfteverfall und einer sukzessiven Gewichtabnahme einher, also mit den vom Sterben alter Menschen bekannten Symptomen. Bei konsequenter Akteneintragung entsprechend gefristeter Abläufe war dieses mörderische „Hungersterben“ von Seiten der Eugenik-Ärzte relativ sicher zu verschleiern.

Bezüglich der letzten Eintragungen in der Krankenakte von Peter Müller ergibt sich indessen der gleiche Verdacht wie bei den dargestellten Biografien der Andernacher Psychiatriepatienten Hemgesberg, Mischo und Hoffmann, deren Leben ebenfalls in sehr früh nach der Aufnahme, nämlich bereits im Spätherbst 1939 bzw. Sommer (Hoffmann) endete: der Verdacht nachträglicher, also nach Todeseintritt rückdatierter Krankenblatteintragungen, die einen mit der Falschbeurkundung der Todesursache stimmigen Sterbeverlauf vortäuschen sollten. Bei Peter Müller ergibt sich dieser Verdacht aber nicht anhand des Schriftbildes oder des Schreibduktus, sondern aus dem Fehlen jegliche Einträge aus dem Zeitabschnitt vor dem angeblichen Sterbedatum. Der letzte Eintrag vor dem Todesdatum (20.9.39) von Peter Müller erfolgte am 4. September 1939, also sechszehn Tage vorher, und dieser Eintrag enthielt keinerlei Angaben über eine lebensbedrohliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes (Siehe Dokumentation).

Auch in Bezug auf seinen angeblich rapiden Kräfteverfall finden sich in der Krankenakte von Peter Müller vor dem angeblichen Todestag keine Eintragungen, die einen ursächlich tödlichen Sterbeverlauf als realiter nachvollziehbar erscheinen lassen. Drei Monate vorher, am 10.6.1939, lautete die vorletzte Eintragung in Trier: „körperlich in ausreichender Verfassung.“ In der ab 1933 maschinenschriftlich, also gut lesbaren Krankenakte existieren ebenfalls keinerlei Eintragungen über körperliche Krankheitssymptome oder aber psycho-vegetative Erkrankungen mit pathologischen Auswirkungen auf das Essverhalten. Aus Eintragungen wie diesen ergibt sich ein ganz anderes Bild: „Körperlich guter Kräfte und Ernährungszustand“ (Trier, 7.6.1933); „körperliches Befinden zufriedenstellend“ (Trier, 22.10.1936 und 15.11.1937). Demnach ergibt sich nur die eine Schlussfolgerung: Peter Müller starb keines natürlichen Todes. Sein Leben als Anstaltspatient endete infolge des mörderischen „Hungersterbens.“

21.9.1939 Todesanzeige Sonderstandesamt Andernach, Quelle: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Nr. 21271
Abb. 7 21.9.1939 Todesanzeige Sonderstandesamt Andernach mit Sterbedatum 20. September
 

Dokumentation der Krankengeschichte von Peter Müller anhand seiner Patientenakte (Auszüge)

11.Juni 1931    Einweisungsattest von Dr. Katthagen: Peter Müller, Trier, Kapellenstr. 41, geboren am 19. Mai 1905, ist wegen zeitweise anhaltenden Erregungszuständen und Tobsuchtsanfällen gemeingefährlich und in die geschlossene Nervenheilanstalt des Brüderkrankenhauses Trier zu überführen. ….
 
15.06.1931 Kreisärztliches Gutachten Dr. Ewerz: Müller leidet an Neurastenie, ich halte ihn nicht für geisteskrank…..Da eine gewisse Selbstmordgefahr besteht, ist es aber notwendig, ihn einige Tage in der Anstalt zu beobachten, ob nicht doch eine Geisteskrankheit vorliegt.
 
7.6.1933 Arbeitet in der Kartoffelschälküche, steht in seiner Freizeit meist gedrückt in schlaffer Haltung in irgendeiner Ecke. Spricht kaum aus eigener Initiative, bei Anrede spärliche jedoch geordnete Auskunft…
 
14.6.1938 Verschlossener Schizophrener, der zu keiner Arbeit zu gebrauchen ist, wird manchmal laut, maniriert. Körperlicher Zustand ausreichend.
 
14.12.38 Zustandsbild im wesentlichen unverändert. Treibt sich auf Abteilung 8 herum, ohne sich zu irgend einer Arbeit zu bequemen.
 
10.6. 1939 letzte Eintragung vor der Verlegung nach Andernach: Auf Abt. 8. Psychisch ist keine Änderung zu verzeichnen. Zu nichts zu gebrauchen.
 
15. August 1939 Verlegt nach Andernach mit Sammeltransport.
 
4.09.1939 psychisch völlig mutazistisch (sic statt „mutistisch“, also stumm) und negativistisch. Verlegt nach (Abteilung) I a.
 
20.09.1939 Ist in den letzten 14 Tagen körperlich rapide zurückgegangen, bereitete seit einigen Tagen auch Schwierigkeiten in der Nahrungsaufnahme
 
21.IX. 1939 letzter Eintrag in Krankenakte mit Sterbedatum gleichen Tages (siehe Abb. 6)
 
21. September 1939 Todesanzeige beim Sonderstandesamt Andernach mit abweichendem Todesdatum 20. September 1939 (siehe Abb. 7) mit der Todesursachen Spaltirresein, Marasmus, Bronchialpneumonie, Kreislaufschwäche.
 

Quellen

Landeshauptarchiv Koblenz: Best. 426,006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 20753 „Krankentransporte“ Männer A-Z und „Krankentransporte“ Frauen A-Z

Landeshauptarchiv Koblenz Best. 426.006 Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Andernach Nr. 21271 Patientenakte Peter Müller
 

Literatur

Heinz Faulstich: : Hungersterben in der Psychiatrie 1914-1949: mit einer Topografie der NS-Psychiatrie. Freiburg/Breisgau 1998

Günter Haffke: Die Rolle der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Andernach bei der nationalsozialistischen „Euthanasie“. In: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg.): „….Wir waren samt und sonders gegen die Durchführung der Euthanasie-Aktion. Zur NS-Euthanasie im Rheinland. Münster 2009, S. 87-108

125 Jahre Rhein-Fachklinik Andernach. Festschrift zum 125-jährigen Gründungsjubiläum 2001

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