Offener Brief an die Stadt Frankfurt am Main

21. Februar 2023

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Im November 1958 wurde auf dem Hauptfriedhof Frankfurt feierlich ein NS-Opferfeld eingeweiht. Im Zentrum befinden sich 120 Grabplatten. Hier liegen Hunderte Urnen von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern, die 1941 in Hadamar ermordet wurden. Allerdings wurde in allen Fällen das von den Tatbeteiligten angegebene falsche Sterbedatum auf die Grabplatten übernommen.

Im Dezember 2015 wies der Arbeitskreis Zwangssterilisation und „Euthanasie“ Frankfurt am Main die zuständige Dezernentin auf diesen Umstand hin und auch auf den schlechten Zustand vieler Platten. In den folgenden Jahren kam es zu mehreren Ortsbegehungen. Bei der bislang letzten am 25. März 2021, bei der neben Vertreter*innen des Grünflächenamtes, der Denkmalpflege, des Instituts für Stadtgeschichte sowie des Arbeitskreises auch eine Stadtverordnete und ein Bildhauer/Steinrestaurator teilnahmen, wurde eine grundsätzliche Übereinkunft hergestellt: Die bestehenden Platten sollten unangetastet bleiben, jeweils daneben oder davor sollte ein neuer, kleinerer Stein in den Boden eingelassen werden, der neben den korrekten Namen und Lebensdaten auch den Sterbeort nennt.

Die Realisierung wurde seitens des Kulturamts der Stadt Frankfurt in Abstimmung mit dem Bildhauer und dem Arbeitskreis vorangetrieben. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt Mitte 2022 zogen das Denkmalamt und das Grünflächenamt ihre Zustimmungen zurück. Ohne Einbindung der bislang beteiligten Partner wurde die nach mehrjähriger Auseinandersetzung endlich gefundene Form verworfen und beschlossen, dass auf jede der bestehenden Grabplatten ein QR-Code angebracht werden soll, der sich mit einem geeigneten Endgerät auslesen lässt.

Diese „Lösung“ ist nicht zielführend, kurzsichtig und peinlich.

Die Erfahrung lehrt, dass auf liegenden Platten in einer Grünanlage angebrachte QR-Codes in kurzer Zeit durch den Eintrag von Staub, Pollen und anderer Partikel nicht mehr erkannt werden.

Weiterhin wären die korrekten Namen und Lebensdaten der direkten Anschauung nicht zugänglich. Besucher*innen – gerade der älteren Generation – nehmen aber nicht zwingend ein Smartphone mit auf den Friedhof.

Die Kostenübernahmepflicht liegt (da es sich rechtlich um eine Kriegsgräberstätte handelt) nicht bei der Stadt Frankfurt, sondern beim Land. Ungeachtet dessen fragt es sich, ob diese „Lösung“ so viel kostengünstiger ist: Einige der Sandsteinplatten sind zerstört, viele sind wegen eines starken Pilzbefalls kaum mehr lesbar. Sie müssten alle ersetzt bzw. aufwändig restauriert werden. Sollen sie, um die gewünschte „Geschlossenheit der Anlage“ zu wahren, dann abermals mit falschen Sterbedaten versehen werden?

Das Gräberfeld ist der einzige Ort in der Stadt, der sich als Gedenkort für die Gruppe der NS-„Euthanasie“-Opfer anbietet. Es ist beschämend, dass 65 Jahre nach der Einrichtung des Gräberfeldes und 82 Jahre nach dem Tod der Menschen noch immer die von ihren Mördern lancierten falschen Sterbedaten auf dem Hauptfriedhof der Stadt Frankfurt präsentiert werden. – Und das dies auf unabsehbare Zeit so bleiben soll.

Arbeitskreis Zwangssterilisation und „Euthanasie“ Frankfurt am Main
Kontakt: Christoph Schneider / Graeberfeld-Hauptfriedhof@posteo.org

Selbstvertreter-Rat der Lebenshilfe Frankfurt am Main e.V.

AIDS-Hilfe Frankfurt e.V.

Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten (AG-BEZ)

Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., RAG Rhein-Main

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